Ich bin 1950 geboren, habe Mitte dreißig meinen Mann kennengelernt, den ich sehr geliebt habe. Ich habe erst Jahre später gemerkt, dass er Alkohol missbraucht, weil er nie wirklich betrunken war. Er hat immer nur pegelmäßig getrunken, er brauchte einen gewissen Pegel.
Ich glaube, ich habe wie viele, wie die meisten Angehörigen von Alkoholikern den Fehler gemacht, dass ich versucht hatte, ihn zu erpressen, ihm zu sagen, dass, wenn du nicht aufhörst zu trinken, verlasse ich dich, ich verlasse dich mit den Kindern. Völlig idiotisch glaubte ich damals, ich könnte ihn vom Alkohol abbringen. Und ich merkte nur, dass wir kränker und kränker werden. Nicht nur ich, sondern die Kinder, dass wir alle in einen Sog gezogen wurden, dessen Ende ich nicht finden konnte.
In der Betroffenheit mit meinen Kindern, aber auch in der Sorge um ihn fand ich den Weg zu einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Alkoholikern, Al-Anon Familiengruppen e.V., die mir half, überhaupt das Problem zu verstehen. Das Problem, das ein Alkoholiker hat, aber auch das Problem, das die Angehörigen haben.
Dort saß ich mit Menschen, die alle das Gleiche versucht hatten wie ich. Die genau das Gleiche erlebt hatten, zum Teil aber schon weiter waren als ich. Und mir sehr haben helfen können. Das war eigentlich meine, unsere Rettung, weil auch die Kinder davon abhingen, wie es mir geht.
Ins Rettungsboot gehören nur die, die das Rettungsboot nicht zum Kentern bringen. Ich habe den Satz gehört und immer wieder gehört, aber es hat Jahre gedauert, bis ich ihn wirklich verstanden habe. Und bis ich auch die Kraft hatte, das zu vollziehen. Weil es ist nicht leicht, jemanden zu verlassen, der am Ertrinken ist. Aber es kam eine Zeit, wo wir finanziell, emotional, wir waren so unten, ich bekam solche Existenzängste, dass ich auf einmal begriff, wir müssen in ein Rettungsboot, sonst gehen wir alle unter.
Also generell diese Selbsthilfegruppe hat einfach mein Leben verändert und meine Sicht auf so viele Dinge. Ich habe dort gelernt, jetzt unabhängig von dem Zustand meines Mannes und was passiert und das wurde später so wichtig, für mich selbst zu sorgen. Was ich bislang nie gemacht habe. Ich habe uns immer alle als ein Ganzes gesehen und ich habe zum ersten Mal dort wirklich gelernt, Verantwortung für mich selbst zu tragen. Und wenn ich die Verantwortung für mich selbst trage, kann ich sie auch für meine Kinder tragen und irgendeiner musste die Verantwortung übernehmen.
Intuitiv wählte ich eine Wohnsituation, dass wir in einem Haus, aber in zwei getrennten Wohnungen wohnen. Sodass die Kinder ihn noch haben, aber ich aus diesem Spannungsfeld herauskomme. Und tatsächlich, binnen Tagen, nachdem wir uns trennten, und ich nicht tagtäglich diese Situation vor Augen hatte, es mir gut ging und den Kindern sukzessive auch.
Je mehr ich ihn losließ und sich selbst überließ, wuchs natürlich auch meine Schuld. Ich hatte Angst, weil ich ahnte, ich ahnte, dass das eventuell kein gutes Ende nehmen würde. Ich hatte aber auch Schuldgefühle den Kindern gegenüber, weil ich so lange brauchte, bis ich lernte, auch mit dieser Krankheit, sie als Krankheit zu begreifen. Und ich musste lernen, damit Frieden zu schließen, dass ich auch nur die Mutter sein konnte, die ich damals war, der Mensch, die Frau, die Ehefrau. Sodass ich langsam mich auf den Weg machte, mich wirklich scheiden zu lassen.
Und nachdem ich mich auch habe scheiden lassen, binnen kürzester Zeit, fiel er auch ins Koma. In ein Koma zu fallen bedeutet, das Leben ist endlich. Auch den Kindern das beizubringen und wie gut es war für mich, dass ich immer wieder einmal die Woche diese Gruppe hatte, dort konnte ich über Probleme reden, die ich hatte. Ängste, konnte Kraft schöpfen, um auch mit dem Mann, der im Koma liegt, zu leben und ihm auch einen Platz zu geben in unserem Leben, auch mit den Kindern, ihn in unser Leben mit zu integrieren.
Wenn ich zurückblicke, glaube ich, dass diese Selbsthilfegruppe mir wirklich ein neues Leben geschenkt hat. Ich habe so viel über mich selbst gelernt, habe gelernt, einen Weg zu mir selbst zu finden, meinen Weg, nicht den Weg, den meine Eltern gerne gehen würden oder andere. Oder die Gesellschaft. Es wurde mein Weg.