Ich bin Natalie Samimi. Ich bin Psychologin in Berlin und mein Schwerpunkt sind die peripartalen Störungen, das heißt, die seelischen Störungen rund um die Geburt.
Wie fühlt sich eine Wochenbettdepression an?
Typisch für die Depression rund um die Geburt sind die Sorge um das Kind oder um die Rolle: Wie bin ich als Mutter? Und es entsteht schnell ein Teufelskreis. Wenn beispielsweise die Mutter keine wirklichen Liebesgefühle dem Kind gegenüber entwickelt, bekommt sie Schuldgefühle und traut sich aber auch gleichzeitig nicht, darüber mit anderen Menschen zu reden.
Manche Frauen sind sehr, sehr traurig und weinen viel. Andere haben immer wiederkehrende Gedanken, sich oder dem Kind etwas anzutun. Manche Frauen haben Schmerzen, ohne dass es einen Grund dafür gibt.
Warum wird Wochenbettdepression als Tabuthema empfunden?
Das Thema Depression rund um die Geburt wird in unserer Gesellschaft wenig adäquat besprochen, sodass es ein Tabuthema ist. Und das kann auf drei verschiedenen Ebenen betrachtet werden.
Einerseits die individuelle Ebene, dann die gesellschaftliche Ebene: Wie hat eine Mutter zu sein? Und wie ist der Umgang überhaupt mit psychischen Erkrankungen oder Störungen?
Und dann auch die Seite der Fachkräfte, also der Hebammen und der Ärzte ist zu betrachten, die auch das Thema Depression rund um die Geburt noch viel zu wenig wirklich ansprechen oder auch mit einem Fragebogen sachlich erfragen.
Es geht gar nicht darum: Wer hat Schuld? Es geht darum die Frauen zu ermutigen, über ihre Gefühle zu reden. Denn ein Teil ist die Mutter und vielleicht auch die neue Rolle, in die sie sich einfinden muss und wo sie vielleicht auch Zeit und Unterstützung braucht. Die andere Seite ist aber auch die Frau. Sie ist auf einmal zum Beispiel nicht mehr berufstätig, sie muss sich selber wieder neu erfinden als Frau. Auch die Partnerschaft hat sich verändert. Auf einmal ist aus dem Paar eine Familie geworden.
Was erwartet Frauen, die zu Ihnen in die Praxis kommen?
In meiner Praxis treffe ich mich vorrangig mit den Frauen und erstmal kommen wir ins Gespräch. Das Baby kann bei einer Sitzung einfach nur dabei sein und manchmal ist es aber auch Teil der Therapie. Zum Beispiel, wenn Frauen Schwierigkeiten der Nähe haben, dem Kind nahe zu sein, kann es eine Übung sein, wie es sich anfühlt, das Kind zu tragen, bei sich zu haben. Wie viel Distanz braucht diese Mutter, aber wie viel Nähe? Und welche Gefühle kommen hoch bei ihr? Und dann kann man ganz konkret auch an diesen Gefühlen, die dann entstehen, arbeiten.
Die Therapie zielt ab darauf, dass es der Frau wieder emotional besser geht, dass sie wieder Freude empfinden kann, dass sie Liebe zu dem Kind hat, dass sie es adäquat für sich umsorgt. Und dass sie, wenn es zum Beispiel traumatische Erlebnisse gab, dass sie diese bearbeitet hat und in ihr Leben mit integrieren kann.
Wie wichtig ist die Unterstützung von Freunden und Angehörigen?
Die Unterstützung der Angehörigen ist von großer Bedeutung. Letztendlich geht es darum, das Stresserleben zu verringern. Ganz konkret heißt das, die Frau muss die Möglichkeit haben zu schlafen, gut zu essen und sich ausruhen zu dürfen.
Frauen können trotz dieser Erkrankung eine gute Mutter sein. Das Thema Depressionen rund um die Geburt darf kein Tabu mehr sein! Es muss besprochen werden. Es muss darüber aufgeklärt werden, dass es Depressionen geben kann. Und was die Frauen brauchen ist Hilfe und Unterstützung adäquat, individuell auf ihr Leben, sodass es ihr und ihrer Familien besser geht.
Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie auf dem Gesundheitsportal der Stiftung Gesundheitswissen. Wissen ist gesund.