Ich heiße Jochen Schulze, meine Tochter Anna ist 1990 geboren. Bei ihr wurde 2005 eine Depression festgestellt.
Mein Leben hat es eingangs sehr beeinflusst. Ich hatte immer Angst, irgendwas verkehrt zu machen. Ich habe sie anfangs in Watte gepackt. Ich hatte Angst bei jedem Wort. Sie hat ja schwerste Depressionen gehabt. Sie hat sich geritzt. Sie hat Selbstmordgedanken gehabt.
Und insofern habe ich im Grunde genommen alles verkehrt gemacht. Bevor ihre Depression festgestellt wurde, war im Nachhinein für mich auffällig, dass sie sich zurückgezogen und eingeigelt hat. Das war ja auch wie ein Schock! Das muss man sagen, wie es ist!
Ich hab mich da wahrscheinlich völlig irrational verhalten in den ersten Monaten. Außer sagen zu können: Begib Dich in eine Therapie! Mach und tu' was! Da ist mir auch nichts weiter eingefallen.
Meine Tochter hat dann erst einmal ca. 4 Wochen eine ambulante Therapie gemacht. Und anschließend 3 Monate stationär. Und im Rahmen der Therapie sind wir uns wieder nähergekommen.
Man frag sich schon, ob man als Vater versagt hat? Ich will auch nicht abstreiten, dass ich sicherlich auch wochenlang depressiv war. Weil ich denke mal, dass 90% der Angehörigen auf jeden Fall mit sich und solchen Situationen völlig überfordert sind. Angehörige, die sehr nah und innig zu den Personen stehen, sollten begleitend auch zumindest Broschüren oder Informationen kriegen. Oder selbst eine begleitende Therapie.
Ich war ganz allein auf mich gestellt, musste mich selbst reinlesen. Ich habe mir Fachbücher gekauft. Ich habe mich online belesen. Und hätte dieses Wissen gern etwas früher gehabt. Dann hätte ich mich von Vornherein gleich anders verhalten.
In Bezug auf Anna ist mir jetzt auch klar geworden, dass ich ihre Probleme, mögen sie auch noch so marginal und winzig sein, ernst nehme und darauf eingehe.
Mir ist auch schwergefallen, dass sie darüber nicht reden wollte. Das musste ich aber im Laufe der Zeit akzeptieren. Denn es muss ja von ihr kommen. Ich kann sie nicht bedrängen.
Aufgrund der Gespräche wurde klar, dass die Situation zu Hause mit dem neuen Partner meiner Ex-Frau für sie unbefriedigend war. Sie empfand ihn als Fremdkörper. Und ich habe überlegt und sie dann gedrängt, eine eigene Wohnung zu nehmen. Und das hat wunderbar funktioniert.
Heute würde ich sagen, sie ist sukzessive von Jahr zu Jahr stabiler geworden. Sie hat natürlich noch ein paar Problemchen, aber auch gelernt, damit umzugehen.
Seitdem sie auch offener mit anderen Leuten umgeht, kein Geheimnis mehr draus macht, ist sie auch selbstbewusster geworden. Die Depression steht jetzt nicht mehr im Mittelpunkt. Sie ist kein Thema mehr. Es sei denn, Anna möchte darüber sprechen.
Ansonsten sage ich ihr die Wahrheit. Auch im Bewusstsein, sie zu verletzen.
Aber sie kennt mich ganz gut, weiß damit umzugehen und auch darauf zu reagieren. Die Depression meiner Tochter hat uns letztendlich enger zusammengeschweißt. Das führt auch dazu, dass wir seit 6 - 7 Jahren wirklich viel Zeit miteinander verbringen.
Wir telefonieren, haben täglich Kontakt. Wir verreisen oft, soweit ihre Zeit oder mein Portemonnaie es zulassen.
Ich würde anderen Angehörigen von Depressionserkrankten auf den Weg geben, dass sie sich - wenn es geht - wirklich Hilfe suchen. Denn man wird zwangsweise auch depressiv, behaupte ich einfach mal. Ich weiß nicht, ob es inzwischen Selbsthilfegruppen für Angehörige gibt. Es wäre zumindest ratsam, sich mit Leuten zu unterhalten. Professionell oder eben mit anderen Angehören, die so eine Phase vor kurzem durchlebt haben.
Wissen ist gesund.