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„Dr. Google ist kein Wunderheiler“

Pressemitteilung 17.07.2018 - 08:24

Kaum etwas verändert das Gesundheitswesen so nachhaltig wie die Digitalisierung. Immer mehr Akteurinnen und Akteure platzieren Gesundheitsinformationen im Netz und wollen Verbraucherinnen und Verbraucher bei Krankheitsfragen aller Art beraten. Die Kehrseite: Die Gesundheitsinformationen unterscheiden sich teilweise erheblich in ihrer Qualität und Zuverlässigkeit. Ist „Dr. Google“ vor diesem Hintergrund mehr Fluch als Segen? Sind Menschen auf diese Entwicklung vorbereitet? Und worauf muss man achten, wenn man nach Gesundheitsinformationen im Internet sucht? In einem Interview gibt Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen, Antworten. 

1. Herr Dr. Suhr, Sie sind Arzt und Gesundheitsexperte. Wenn Sie krank sind: Informieren Sie sich über Behandlungsmöglichkeiten im Internet?

Als Arzt hat man naturgemäß ein anderes Hintergrundwissen über Krankheiten und deren Behandlungen, als es Laien haben – auch wenn Ärztinnen und Ärzte sowie Gesundheitsexperten und -expertinnen natürlich keinesfalls allwissend sind. Aber ja - ich beschaffe mir auch einige Informationen aus dem Internet. Die wichtigsten qualitativ hochwertigen Quellen kenne ich natürlich aus meiner täglichen Arbeit, aber es kommen immer wieder neue hinzu und dann schaue ich mir genau an, wer dahintersteht.

2. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie waren im Jahr 2017 etwa 90 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren online – nochmal etwa sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Was bedeutet diese Entwicklung für das Gesundheitswesen?

Gesundheitsinformationen im Netz zu suchen ist für viele Menschen längst eine Selbstverständlichkeit. Im letzten Jahr haben wir eine Studie durchgeführt, bei der von den rund 6.000 Befragten mehr als 80 Prozent angaben, sich im Internet über Gesundheitsthemen zu informieren. Die Menschen suchen neben Fakten oft auch Austausch und Rat. Suchmaschinen wie Google sind bei der Online-Suche der wichtigste Einstieg. 

3. Lassen wir uns also demnächst alle von Google behandeln?

Wer weiß, wo die Entwicklung noch hinführt? Ich persönlich denke, dass der Arzt auch weiterhin wichtigster Ansprechpartner bleibt. Aber das Verhältnis von Patienten und Ärzten ändert sich. Die gängige Bezeichnung „Halbgötter in weiß“ wird der Vergangenheit angehören. Sie zeugt noch von einer Zeit, in der Ärztinnen und Ärzte als nahezu allwissend und Patienten als unmündig galten. Aber die Ansprüche der Menschen haben sich verändert. Mittlerweile informieren sich viele Patienten und Patientinnen vor einem Arztbesuch im Internet, um gut vorbereitet ins Arztgespräch zu gehen. Das ist grundsätzlich eine positive Entwicklung, sie birgt aber auch Gefahren.

4. Inwiefern?

Auf der einen Seite wird der Zugang zu Informationen erleichtert und Wissen kann unkomplizierter verbreitet werden. Auf der anderen Seite gibt es viele Fehlinformationen. Jeder kann ungefiltert Informationen ins Netz stellen und sich selbst zum Experten ernennen. Daher sage ich immer: „Dr. Google“ ist kein Wunderheiler. Was nützen Informationen im Netz, wenn es nicht die richtigen sind? Oft werden bestehende Sorgen der Menschen bei einer Suche nach Krankheitssymptomen noch verstärkt. Die Flut an Informationen im Internet stellt uns hier vor neue Herausforderungen. Es muss deshalb verstärkt darum gehen, den Menschen die nötigen Kompetenzen zu vermitteln, damit sie bei der Fülle an Informationen im Internet die Spreu vom Weizen trennen können. Genau hier setzt die Stiftung Gesundheitswissen mit ihrer Arbeit an. Wir bereiten nicht nur fundierte, laienverständliche Gesundheitsinformationen auf, sondern wollen die Menschen auch befähigen, sich Informationen zu beschaffen, kritisch zu bewerten und zu verstehen.

5. Welchen Informationen im Netz kann man denn vertrauen?

Es gibt viele tendenziöse Quellen, die mit klaren Interessen verbunden sind. Das A&O sind unabhängige und qualitätsgesicherte Gesundheitsinformationen. Diese erfüllen bestimmte Kriterien: Zunächst kann ein Blick ins Impressum dabei helfen, herauszufinden, wer hinter den Informationen steckt und welche Interessen möglicherweise verfolgt werden. Zudem wird auf einer guten Webseite erklärt, an wen sie sich richtet und mit welcher Absicht. Seriöse Autorinnen und Autoren untermauern ihre Aussagen mit Belegen und Quellen. Vorsicht auch, wenn eine Information keine Angaben enthält, wann sie erstellt wurde. Sie kann auch veraltet sein. Das sind nur einige Beispiele. 
Nutzer und Nutzerinnen sollten auch schauen, ob es auf der Website Werbung für ein ganz bestimmtes Produkt oder Verfahren gibt. Das spricht nicht unbedingt für die Seriosität einer Seite. Wer sich im Internet über Gesundheitsthemen informieren will, sollte einfach wissen, woran man vertrauenswürdige Informationen erkennt. Das gehört mit zur Gesundheitskompetenz, die alle fordern. Die Stiftung Gesundheitswissen hat deshalb auf ihrer Website sechs Tipps bereit gestellt, die dabei helfen, vertrauenswürdige Gesundheitsinformationen im Internet zu erkennen.

6. Nach einer Studie der Universität Bielefeld besitzt mehr als jeder zweite Deutsche nur eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz. Das heißt: Mehr als die Hälfte hat erhebliche Schwierigkeiten, mit gesundheitsrelevanten Informationen umzugehen und sich im Gesundheitssystem zu orientieren. Was muss denn hier getan werden?

Die Ergebnisse der Studie der Universität Bielefeld zeigen uns vor allem eines: Bei der Förderung der Gesundheitskompetenz gibt es noch ein erhebliches Potenzial. Viele haben Probleme damit, gesundheitsrelevante Informationen ausfindig zu machen, zu verstehen, beurteilen und nutzen zu können – ganz gleich ob es sich dabei um digitale oder analoge Informationen handelt. Hier setzen wir als Stiftung an. Unser Ziel ist es, die Gesundheitskompetenz zu fördern, sodass Menschen unabhängige und qualitätsgesicherte Informationen von anderen unterscheiden können. Diese Fähigkeit geht jedoch nicht nur auf individuelle Voraussetzungen und erworbenes Verständnis zurück. Sie ist auch abhängig von der fachlichen Qualität von Gesundheitsinformationen, deren Verständlichkeit und den gewählten Vermittlungsformaten. Um die Gesundheitskompetenz der Menschen zu stärken, braucht es aber auch effektivere Kommunikationsstrategien. Es müssen also nicht nur Informationen auf gleichbleibend hohem fachlichen Niveau erarbeitet und bereitgestellt werden, sondern gleichzeitig gilt es Kommunikationstrends und ein sich veränderndes Konsumverhalten in die Erarbeitung und Evaluation von Gesundheitsinformationen mit einzubeziehen. Bei unserem multimedialen Angebot achten wir darauf Gesundheitswissen nutzerorientiert zu vermitteln und den Vermittlungserfolg fortlaufend zu evaluieren. Um hier noch mehr Verständnis für die Bedürfnisse der unterschiedlichen Gruppen und deren Informationsverhalten zu bekommen, haben wir gemeinsam mit dem Hanover Center for Health Communication eine breit angelegte Studie angestoßen, die über mindestens 2 Jahre laufen wird und somit auch Trends abbildet.

7. Worauf geht der Beitrag der Stiftung Gesundheitswissen zur „Allianz für Gesundheitskompetenz“ zurück?

Die 15 Partner der „Allianz für Gesundheitskompetenz“ haben sich in einer gemeinsamen Erklärung dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitswissens zu entwickeln und umzusetzen. Wir als Stiftung Gesundheitswissen wollen die Kompetenz der Menschen stärken, indem wir Informationen in die Lebenswelten der Menschen hineintragen. Neben unserem Internetangebot arbeiten wir daher auch an verschiedenen Projekten, die theoretisches Wissen anwendungsorientiert vermitteln. Zum Beispiel erstellen wir gerade Unterrichtsmaterialien für den Einsatz an Schulen. Die Jugendlichen lernen damit, wie das Gesundheitssystem funktioniert, wie sie an gute Gesundheitsinformationen herankommen und welche Rechte sie als Patientinnen und Patienten haben. Ziel ist es, nicht nur Jugendlichen, sondern allen einen besseren Zugang zu unserem Gesundheitssystem zu ermöglichen, damit sie dort mehr Unterstützung erfahren. Auch im Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz, der Anfang des Jahres in Berlin vorgestellt wurde, fordern die Experten und Expertinnen mit Nachdruck, Gesundheitskompetenz in den Lehrplänen von Schulen zu verankern. Die Stiftung Gesundheitswissen steht voll und ganz hinter dieser Forderung. Wir sind froh, dass das Thema erkannt und benannt wird. 

8. Reicht das denn aus?

Es ist natürlich nur ein erster Schritt, evidenzbasierte Informationen ausfindig zu machen. Sie zu verstehen und daraus Entscheidungen abzuleiten sind weitere. Dazu muss möglichst schon in der Schule die Fähigkeit vermittelt werden, Gesundheitsinformationen zu verstehen. Das Hauptanliegen der Stiftung ist es, Menschen zu ermutigen, zum Mitgestalter ihrer Gesundheit zu werden. Dies gelingt nur, wenn man gut Bescheid weiß. Letztlich braucht es einen Schulterschluss vieler Akteure.

„Dr. Google ist kein Wunderheiler“