Berlin, 27. Juli 2021 - Wie sieht die Prävention von morgen aus? Interdisziplinär, personalisiert oder kompetent schon als Kind? Basierend auf derzeitigen Entwicklungen, Forderungen oder Einschätzungen richten unsere drei Thesen den Blick nach vorn – und zeigen Handlungsfelder auf.

1. Die Zukunft der Prävention ist interdisziplinär Button: Infokorb-Ablage In den Infokorb legen

Junge Menschen schreiben an einem Whiteboard
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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schlagen weltweit Alarm: Nicht nur soziale Ungleichheit und Urbanisierung beeinflussen Wohlergehen und Gesundheit der Menschen, sondern vor allem die vom Menschen verursachte Klimakrise. Auf dem Berliner Nobel Prize Dialogue „Towards Health: Equality, Responsibility and Research“ 2019 thematisierten führende Forscher und Forscherinnen wie Kristie Ebi (Ph.D, MPH), Gesundheitsforscherin der University of Washington, die Risiken, die der Klimawandel für die Gesundheit der Bevölkerung mit sich bringt – mit Extremwetter, Nahrungs- und Wasserknappheit. Tödliche Infektionskrankheiten wie Malaria nehmen mit der Erwärmung ebenfalls zu. Sie könnten sich auch wieder weiter nach Norden verbreiten, warnt der Molekularbiologe Peter Agre (MD).

Es sind laut der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ die Ärmsten und vor allem die Kinder, die überall auf der Welt am meisten unter den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels leiden.

In Europa führen Luftverschmutzung und Auswirkungen des Klimawandels wie Hitzewellen laut Europäischer Umweltagentur schon jetzt zu Erkrankungen. Mit mehr als 400.000 vorzeitigen Todesfällen ist beispielsweise die Luftverschmutzung auf dem Kontinent eine der großen Umweltbedrohungen für die Gesundheit.

Mit dem Denken in engen Zuständigkeiten lässt sich Gesundheitsprävention heute deswegen nicht mehr bewältigen.

Reduziert die Verkehrspolitik den Autoverkehr, sinken Feinstaub- und Lärmbelastung. Baut sie mehr sichere Radwege, sorgt das nicht nur für die Entlastung der Umwelt, sondern animiert Menschen, auf das Rad umzusteigen, und kann damit ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit durch mehr Bewegung steigern. Schaffen Städteplaner und -planerinnen Flächen, wo Menschen sich gern treffen und aufhalten, steuern sie nicht nur der krank machenden Vereinsamung entgegen. Grün- und Wasserflächen kühlen die Städte während der Hitzewellen, schaffen Raum für Sport und Spiel im Freien, schützen vor zu heftiger Sonneneinstrahlung und unterstützen die Biodiversität. Weniger Fleisch, gesunde und pestizidfreie Nahrungsmittel, die vom Bauernhof auf den Tisch gelangen, gehören ebenfalls zu den Maßnahmen gesundheitlicher Vorsorge.

Prävention ist also nicht nur Sache der Gesundheitspolitik.

Sie geht auch Umwelt- und Verkehrsressort, Bildungs-, Landwirtschafts- und Verbraucherministerium an. Führt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine Lebensmittelampel ein, betreibt es ebenso Vorsorgepolitik, wie wenn es zuckerhaltige Getränke besteuert.

Als Dr. Hans Henri Kluge am 1. Februar 2020 sein Amt als Regionaldirektor der WHO in Europa antrat, notierte er auf der europäischen WHO-Website: „Wir müssen erkennen, dass die größten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit oft aus Entscheidungen in anderen Ressorts wie Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialpolitik entstehen.“ Bei einigen Politikerinnen und Politikern muss die Liebe zur ressortübergreifenden Präventionspolitik noch reifen. Unter Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen besteht kein Zweifel: Die Prävention der Zukunft ist interdisziplinär und integriert alle umweltrelevanten Politikbereiche.

2. Die Zukunft liegt in der personalisierten Prävention Button: Infokorb-Ablage In den Infokorb legen

Frau mit Handy EHealth
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Jeder Mensch ist einmalig. Das gilt für seine Persönlichkeit – und für seine Gesundheit. Was ist da naheliegender, als in Prävention und Therapie statt „Prinzip Gießkanne“ auf Personalisierung zu setzen? Mehr und mehr möglich wird das aufgrund rasanter Entwicklungen im Bereich der personalisierten Medizin.

So sorgen die Methoden der genetischen Analyse etwa für ein besseres Verständnis der molekularen Prozesse bei der Entstehung von Krankheiten. Erste individuelle Therapien, beispielsweise bei Hepatitis-C-Infektionen, sind schon im Alltag angekommen. An personalisierten Impfstoffen, die eine Immunreaktion des Körpers gegen Tumorzellen auslösen sollen, wird unter Hochdruck gearbeitet.

Gleichzeitig unterstützt die genetische Diagnostik bei individueller Früherkennung und personalisierter Prävention: Prädiktive Gentests etwa ermöglichen bei heute gesunden Menschen Aussagen darüber, wie wahrscheinlich eine Krankheit ausbricht. Und Nutrigenomik-Tests helfen, eine Beziehung zwischen den Genen und der Art, wie der Körper Nährstoffe aufnimmt, herzustellen. Damit könnte zumindest tendenziell gezeigt werden, wie man sich ernähren sollte, um gesund zu bleiben. Doch erst zusammen mit künstlicher Intelligenz (KI) und ihren neuen, digitalen Analyseverfahren kann das entschlüsselte Genom sein volles Potenzial ausspielen.

Patienten und Patientinnen werden zur Summe ihrer persönlichen Daten.

Und intelligente Algorithmen sollen dabei helfen, mittels dieser Daten den Einzelnen individuell, präventiv und kurativ besser zu versorgen, indem sie Indikatoren erkennen oder Effekte besser vorhersagen. So investiert etwa die Europäische Kommission 35 Millionen Euro in die Vorhersage, Prävention und Behandlung der häufigsten Krebsarten mithilfe künstlicher Intelligenz.

„Was die Medizin gerade erlebt, ist die vielleicht größte Revolution seit der Entdeckung des Penicillins“, schreibt zum Thema Gesundheit und KI das „Handelsblatt“. Gleichzeitig unterstützt die Digitalisierung das wachsende Interesse an gesundheitsfördernden Lebens- und Verhaltensweisen. Mit Apps und Wearables erfassen auch Gesunde ihre Biodaten, um den Alltag gesünder zu gestalten.

Statt Heilen rückt so individuelles Vorbeugen in den Mittelpunkt.

Entsprechend könnten „innovative Technologien wie Big Data, MobileHealth-Anwendungen oder der Einsatz von künstlicher Intelligenz einen Wechsel vom ‚Reparaturansatz‘ zu präventiver Versorgung erlauben“, betonen Expertinnen und Experten der Beratungsfirma Deloitte. Und das gilt für jeden Menschen. Ganz individuell.

3. Schulfach Gesundheitswissen sorgt für bessere Prävention Button: Infokorb-Ablage In den Infokorb legen

Ärztin vor Schulklasse
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Fast die Hälfte der 15- bis 29-Jährigen in Deutschland hat eine problematische Gesundheitskompetenz. Zugleich meinen über 70 Prozent der Deutschen, dass Gesundheitsthemen in der Schule zu wenig behandelt werden. Besonders die 18- bis 29-Jährigen sind fast einstimmig dieser Überzeugung. Auch im „Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz“ fordern die Expertinnen und Experten mit Nachdruck, dass Gesundheitswissen in den Lehrplänen verankert wird.

Die Reihe der Befürworter und Befürworterinnen eines Schulfachs Gesundheit kann sich sehen lassen.

Sie reicht vom Präsidenten der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt bis zu Politikerinnen und Politikern unterschiedlicher Fraktionen. Für sie steht fest: Die Grundlagen für Fähigkeiten und Kompetenzen werden in den frühen Lebensjahren gelegt. Daher gehören Kinder und Jugendliche zu den wichtigsten Zielgruppen für Maßnahmen der Prävention und frühen Gesundheitsförderung. Hierzu zählt auch die Stärkung der Gesundheitskompetenz. Wissen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die früh erlernt werden, können sich im Lebensverlauf festigen.

In Australien oder Finnland ist die Vermittlung von Gesundheitskompetenz daher bereits Pflichtbestandteil des Lehrplans.

Auch in Deutschland gibt es einzelne Beispiele: So in Hessens Gesamtschule Obersberg. Dort wurde für Schüler und Schülerinnen der 7. und 8. Klasse das Unterrichtsfach Gesundheit mit einer Wochenstunde eingeführt. Auch im Saarland wird an der Anton-Hansen-Schule gelernt, was zu einer gesunden Lebensführung gehört – von Sport samt Ausdauer und Entspannung über gute Ernährung bis zu naturwissenschaftlicher Theorie. Es sind erste Schritte. Aber was Kinder und Jugendliche nicht lernen, holen sie im Erwachsenenalter nur schwer nach. Gesundheitswissen legt die Grundlage für eine selbstbestimmte Gesundheit und lebenslange Prävention und gehört deshalb in den Unterricht. Das Ziel ist klar: Kompetent von Anfang an.