Prof. Dr. David Martin, Kinderarzt und Professor an der Universität Witten/Herdecke im Interview
Berlin, 03. November 2020 - Hohes Fieber legt uns in der Regel komplett lahm. Sind Kinder betroffen, machen sich viele Eltern Sorgen – vor allem wenn die Temperatur über 40 Grad steigt. Tatsächlich kann Fieber ein Warnzeichen für eine ernstzunehmende Erkrankung sein. Normalerweise kommt unser Körper jedoch gut damit zurecht. Wie gefährlich Fieber ist, was man bei Fieber tun kann und wann man mit einem fiebernden Kind besser einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen sollte, erläutert der Kinderarzt Prof. Dr. David Martin.
Herr Professor Martin, wie gefährlich ist Fieber denn für den Körper?
Für einen ansonsten gesunden Menschen ist Fieber zunächst überhaupt nicht gefährlich. Fieber ist ein Zeichen, dass der Körper sich gegen den Erreger wehrt. Das Immunsystem wird dafür in einen optimalen Zustand gebracht. Denn unser Immunsystem funktioniert eben viel besser bei 39 oder 40 Grad als bei 37 Grad. Fieber ist ein evolutionär extrem gut erhaltener Vorgang, um unser Immunsystem in Höchstform zu bringen. Dieser Vorgang ist gut gesteuert: Das Wärmezentrum im Gehirn und die verschiedenen Regulatoren im Körper lassen es nicht zu, dass das infektbedingte Fieber zu hoch steigt.
Welche Temperaturen kann der menschliche Körper denn maximal selbst erzeugen?
Es gibt Ausnahmefälle, in denen die Körpertemperaturen bis zu 42 Grad steigen. Das ist extrem selten. Normalerweise steigt die Temperatur nicht über 41,7 Grad.
Wie schafft es unser Körper, nicht zu überhitzen?
Wir haben viele Mechanismen, die uns vor Überwärmung schützen. Sonst könnten wir nicht in die Sauna gehen. Das heißt: Wenn die Temperatur ansteigt, reguliert der Körper als erstes die Wärmeerzeugung herunter. Und wenn das nicht ausreichend ist, fangen wir an zu schwitzen. Bei Fieber ist Schwitzen ein Zeichen dafür, dass der Körper jetzt bereit ist, die Temperatur wieder etwas zu senken.
Trotzdem empfehlen viele Ärztinnen und Ärzte, das Fieber ab einer bestimmten Temperatur zu senken…
Bei dem Thema sind viele Fragen noch offen. Es ist inzwischen wissenschaftlicher Konsens, dass es bei infektbedingtem Fieber keine bestimmte Temperatur gibt, ab der man Fieber mit Medikamenten senken sollte. Man sollte sich nach dem Allgemeinbefinden der Kinder richten.
Sie raten bei Fieber zunächst einmal, die Betroffenen zu wärmen – das klingt paradox. Warum soll das helfen?
Am Anfang des Fiebers schwitzt der Körper nicht. Im Gegenteil: Hände und Füße sind kalt, obwohl die zentrale Temperatur steigt. Man friert und bekommt Schüttelfrost. Das wird vom Wärmezentrum im Gehirn gesteuert. Dieses veranlasst auch, dass die Durchblutung an der Oberfläche des Körpers, inklusive Hände und Füße, gedrosselt wird, damit die Wärme im Blut und den Organen bleibt und nicht an die Umgebung abgegeben wird. Deshalb bekommen wir kalte Hände und Füße, obwohl die Körperkerntemperatur vielleicht schon bei 39 Grad ist.
Durch das Schütteln bei Schüttelfrost erzeugen wir noch mehr Wärme. Dann packen wir uns in Decken ein, holen uns vielleicht eine Wärmflasche. Das sind die natürlichen Reflexe. Und diese Reflexe haben wir auch gegenüber unseren Kindern. Wenn sie zittern, geben wir ihnen Wärme. Sowohl körperliche Wärme als auch seelische Wärme. Das ist der richtige Umgang mit Fieber. So muss das Kind nicht mehr ein Gefühl des Frierens aushalten und fühlt sich gleich besser, obwohl die Temperatur ansteigt.
Spätestens wenn die Hände und Füße warm sind, sollten wir schauen, dass der oder die Kranke auch möglichst warme Flüssigkeit bekommt. Kommt der Patient ins Schwitzen, kann man ihn leicht abdecken.
Wenn das Fieber nun trotz allem nicht sinkt – wird es dann nicht irgendwann gefährlich? Wann sollte ich selbst oder mit einem fiebernden Kind zum Arzt gehen?
Das ist eine wichtige Frage. Auch wenn das Fieber selbst nicht gefährlich ist, kann die Grunderkrankung gefährlich sein. Deshalb ist es wichtig, dass die pflegende Person sensibel ist für bestimmte Warnzeichen, die anzeigen, dass der Patient mit dem Infekt nicht zurechtkommt.
Warnzeichen sind zum Beispiel Nackensteifigkeit oder ein einblutender Ausschlag: Wenn ich bei einem normalen Ausschlag mit meinen Fingern auf die Haut drücke, dann wird die Haut unmittelbar nach Abziehen des Fingers blasser. Wenn ich aber meine Finger auf den Ausschlag lege und der Ausschlag bleibt dunkelrot, dann sind die Gefäße unter der Haut betroffen. Das ist ein absolutes Warnzeichen - für eine Meningitis beispielsweise.
Gibt es weitere Anzeichen für eine ernstzunehmende Erkrankung?
Ein weiteres Warnzeichen ist, wenn der Mensch nicht normal reagiert, komplett apathisch ist, nicht mehr ansprechbar oder gar in eine Art Koma verfällt. Diesen Zustand muss man aber unterscheiden von den Fieberträumen, die bei Kindern immer wieder vorkommen.
Ernst nehmen muss man auch die Austrocknung, wenn der Körper nicht mehr genug Flüssigkeit hat. Wenn der Mund ganz trocken und die Haut schlaff ist, wenn das Kind apathisch und kraftlos im Bett liegt, dann sind das Zeichen für zu wenig Flüssigkeit im Körper und man sollte mit dem Kind zum Arzt gehen.
Wenn das Kind jünger als 6 Monate ist, sollte man allerdings schon am ersten Fiebertag einen Arzt aufsuchen. Sehr junge Kinder bekommen normalerweise nicht so leicht hohe Temperaturen. Und wenn sie diese bekommen, ist das ein Zeichen, dass sie sich mit etwas Ernstzunehmenden auseinandersetzen.
Eltern können sich hier aber auch auf ihr Gefühl verlassen. Es hat sich interessanterweise in unserer Forschung gezeigt: Wenn die Eltern selbst ein ganz schlechtes Gefühl oder sogar ein Panikgefühl haben oder denken, hier stimmt etwas überhaupt nicht – dann sollen sie zum Arzt gehen. Und: Spätestens am dritten Fiebertag sollte man Kontakt zum Arzt aufnehmen, auch wenn keine weiteren Warnzeichen vorliegen.
Was können besorgte Eltern bei Fieber für ihre Kinder tun?
Über lauwarme Wadenwickel haben wir schon gesprochen. Sie können dazu beitragen, die Temperatur zu senken. Wenn die Kinder älter als ein Jahr sind, kann Lindenblütentee mit ein wenig Honig ebenfalls helfen. Kamillentee ist hilfreich, wenn Bauchschmerzen bestehen. Wichtig ist, ihn nur kurz ziehen zu lassen, damit er nicht bitter wird.
Bei Kopfschmerzen kann ein Stirnlappen auf den Kopf gelegt werden. Viele Eltern machen gute Erfahrungen mit Bienenwachsplatten, die auf die Brust gelegt werden. Der Geruch kann entspannend sein. Wenn die Kinder husten, gibt es verschiedene Salben, beispielsweise Bronchialbalsam, und andere naturheilkundliche Mittel, die hilfreich sein können.
Manche Kinder, vor allem kleine Kinder, bekommen einen Fieberkrampf wenn die Temperatur schnell steigt. Lassen sich Fieberkrämpfe durch fiebersenkende Mittel verhindern?
Fieberkrämpfe sind schrecklich anzusehen. Wenn das Kind die Augen verdreht, blaue Lippen bekommt oder gar das Bewusstsein verliert, bekommen viele Eltern große Angst. Deshalb verstehe ich den Wunsch, Fieberkrämpfe so schnell wie möglich zu unterdrücken oder sogar im Voraus zu verhindern. Verschiedene Studien haben aber gezeigt, dass fiebersenkende Mittel wie Paracetamol oder Ibuprofen Krämpfen nicht vorbeugen können. Das heißt, wir haben bisher keine nachweislich wirksamen Mittel gegen Fieberkrämpfe.
Die gute Nachricht ist: Die sogenannten „einfachen Fieberkrämpfe“ sind ungefährlich. Eltern sollten wissen, dass das vorkommen kann. Oft ist die Veranlagung erblich. Wenn es dann passiert, sollten die Eltern bei dem Kind bleiben, Ruhe bewahren und das Kind so hinlegen, dass es sich nicht verletzen kann. Trotzdem sollte man beim ersten Fieberkrampf den Notarzt rufen, um sicher zu sein, dass es ein Fieberkrampf ist und nicht etwas Anderes dahintersteckt.
Kinder, die zu Fieberkrämpfen neigen, bekommen vom Kinderarzt oder von der Kinderärztin das Medikament Diazepam verschrieben, das bei einem erneuten Krampf gegeben werden kann. Das muss nicht sofort gegeben werden – Eltern können ruhig erst einmal fünf Minuten abwarten. Diazepam hat eine muskelentspannende, krampflösende Wirkung, führt aber dazu, dass die Kinder für ein oder zwei Tage schlapp und durch den Wind sind.
Aufgrund meiner Erfahrung würde ich beim ersten Anflug von Fieber beim Kind für Ruhe und Wärme sorgen.
Prof. Dr. David Martin
Der einzige Ansatz, den ich persönlich zur Vorbeugung von Fieberkrämpfen gefunden habe, ist der, das Kind zu wärmen, sobald die Temperatur ansteigt oder schon bei den ersten Anzeichen einer Erkrankung. Um die Wirkung zu belegen, fehlt uns zwar noch eine gute randomisierte Studie – aber aufgrund meiner Erfahrung würde ich beim ersten Anflug von Fieber beim Kind für Ruhe und Wärme sorgen. Das ist etwas, was ein Kind immer gut gebrauchen kann, wenn es ihm nicht gut geht.