Berlin, 26. April 2022 – Menschen mit chronischen Erkrankungen fühlen sich zwar gut über ihre Erkrankung informiert und geben auch an, wichtige Gesundheitsmaxime zu kennen. Aber sie zweifeln an den eigenen Einflussmöglichkeiten auf die Gesundheit und positiven Auswirkungen von Präventionsangeboten. Eine Zusammenfassung der Studie „Gesundheitsorientierung und Informationsverhalten chronisch Kranker“ der Stiftung Gesundheitswissen mit Schwerpunkt auf die Themen Selbstwirksamkeit und Prävention.
Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen bzw. dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen haben zunehmend Probleme, ihre Krankheit und die Auswirkungen zu kontrollieren. Gleichzeitig sinkt auch das Vertrauen in die eigenen Einflussmöglichkeiten auf den Verlauf der Erkrankung und in Vorsorge-Möglichkeiten. Das hat eine aktuelle Auswertung einer Studie der Stiftung Gesundheitswissen ergeben. Zusammen mit dem Institut für Demoskopie Allensbach hat die Stiftung in einer Umfrage den Blick speziell auf Menschen mit chronischen Erkrankungen gerichtet. Untersucht wurden unter anderem die Einschätzung der eigenen Selbstwirksamkeit und das Präventionsverhalten der Erkrankten.
Mehr als die Hälfte der befragten Menschen mit chronischen Erkrankungen hat angegeben, ihre Krankheit im Großen und Ganzen gut im Griff zu haben: 59 Prozent ziehen die Bilanz, dass sie die Krankheit und ihre Auswirkungen gut, teilweise sogar sehr gut kontrollieren können. 28 Prozent haben jedoch angegeben, Probleme zu haben. 12 Prozent berichten, dass die Kontrolle ihrer Krankheit starken Schwankungen unterliegt. In welchem Ausmaß chronisch Kranke das Gefühl haben, ihre Beschwerden und die damit verbundenen Auswirkungen auf ihren Alltag beherrschen zu können, hängt von dem Ausmaß der Einschränkungen ab, die mit der Erkrankung einhergehen. So sagen 55 Prozent der Befragten ohne Einschränkungen, dass sie mit ihrer Krankheit gut umgehen können, Gleiches gilt aber nur für 27 Prozent der Menschen mit erheblichen Einschränkungen.
In Bezug auf den weiteren Verlauf der Erkrankung sind nur 17 Prozent der Studienteilnehmenden überzeugt, dass sie selbst erheblichen Einfluss nehmen können. Jeder Zweite geht davon aus, dass das eigene Verhalten zumindest begrenzte Auswirkungen hat. 29 Prozent der befragten chronisch Kranken sehen für sich selbst keinerlei Einflussmöglichkeiten auf den Verlauf der Erkrankung. Zu diesen Menschen zählen überdurchschnittlich Frauen, chronisch Kranken mit erheblichen Einschränkungen und chronisch Kranke, die von mehreren Krankheiten betroffen sind.
Besonders das Ausmaß der Einschränkungen im Alltag und das Empfinden, die Krankheit nur schlecht kontrollieren zu können, führen zu der Annahme, auch den künftigen Verlauf „so gut wie gar nicht“ beeinflussen zu können. Davon sind 52 Prozent der befragten chronisch Kranken mit erheblichen Einschränkungen im Alltag überzeugt, 24 Prozent der Befragten ohne Einschränkungen.
Schlussfolgerung der Stiftung Gesundheitswissen:
„Mit seinem Verhalten positiven Einfluss auf die eigene Gesundheit nehmen zu können, kann die eigene Lebensqualität erheblich steigern. Wie können wir es schaffen, dass die Menschen dieses Potential für sich erkennen und nutzen? Wie müssten Gesundheitsinformationen dahingehend konzipiert sein“, fragt Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen. „Über den Zusammenhang zwischen Information und dem Zutrauen in die eigenen Einflussmöglichkeiten ist wenig bekannt. Das wurde bisher kaum erforscht. Daher haben wir in Zusammenarbeit mit der BAG Selbsthilfe mit einer Befragung zum Zusammenhang von Selbstwirksamkeit und Gesundheitskompetenz begonnen. Mit den Ergebnissen aus der Umfrage erhoffen wir uns wichtige Erkenntnisse, um die Gesundheitskompetenz der Menschen nicht nur zu erweitern, sondern sie auch darin zu bestärken, ihr Wissen im Alltag anzuwenden.“
Welchen Einfluss haben die eigene Lebensweise, Gene, Stress und Umweltfaktoren auf das Risiko, ernsthaft zu erkranken? Sowohl die befragten nicht chronisch Kranken als auch chronisch kranke Menschen stimmen hier in ihren Antworten weitgehend überein: Der eigenen Lebensweise schreiben Gesunde (53 Prozent) wie auch chronisch Kranke insgesamt (48 Prozent) mit Abstand den größten Einfluss auf Krankheitsrisiken zu. Jedoch scheinen Erkrankte mit erheblichen Einschränkungen im Alltag weniger von einem Zusammenhang zwischen der Lebensweise und Krankheitsrisiken überzeugt zu sein. Nur 35 Prozent geben an, dass die Lebensweise das Risiko zu erkranken beeinflussen kann.
Andere Risiko-Faktoren werden dagegen von Gesunden wie von chronisch Kranken und auch denjenigen mit erheblichen Einschränkungen ähnlich eingeschätzt: Das gilt für den Einfluss der Gene (37 Prozent bzw. 33 Prozent), von Stress (27 Prozent bzw. 26 Prozent) und Umwelteinflüssen (25 Prozent bzw. 26 Prozent).
Die Vorstellungen chronisch Kranker, was ein gesundheitsorientiertes Leben ausmacht, sind recht konkret. Als besonders wichtig gelten der Verzicht auf Rauchen (87 Prozent), ausreichend Schlaf (85 Prozent), möglichst viel Bewegung (83 Prozent), die Kontrolle des eigenen Gewichts (77 Prozent), die regelmäßige Wahrnehmung von Vorsorgeuntersuchungen (77 Prozent), eine gesundheitsbewusste Ernährung (72 Prozent) und das Vermeiden von Stress (70 Prozent). Auch der Verzicht auf Alkohol (71 Prozent) ist für die Mehrheit ein wesentlicher Bestandteil einer gesundheitsorientierten Lebensweise wie auch sich ausreichend Zeit zur Entspannung (64 Prozent) und so wenig Medikamente wie möglich zu nehmen (50 Prozent).
Einige dieser Gesundheitsmaximen werden von chronisch Kranken zumindest tendenziell häufiger genannt als von denjenigen, die keine chronische Krankheit haben. Das gilt insbesondere für regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, den Verzicht auf Alkohol und Nikotin, ausreichenden Schlaf und Bewegung und vor allem die Kontrolle ihrer Werte wie z.B. den Puls und Blutdruck. Der letzte Punkt wird von den befragten Menschen mit chronischen Erkrankungen und nicht chronisch Kranken unterschiedlich bewertet: Während nur 26 Prozent derjenigen, die nicht von einer chronischen Krankheit betroffen sind, die regelmäßige Überwachung von Körperfunktionen für wichtig halten, um gesund zu bleiben, halten 48 Prozent der chronisch Kranken dies für besonders wichtig.
Insgesamt gesehen gleichen sich die Vorstellungen der Befragten, was der Gesundheit dient, weitgehend. Jedoch unterscheidet sich die eigene Anwendung dieser Maximen teilweise deutlich. Demnach machen chronisch Kranke mehr für ihre Gesundheit als nicht chronisch Kranke, teilweise auch durch ihre Beschwerden erzwungen. So gehen sie weit überdurchschnittlich regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen (67 Prozent, Nicht-Chronisch-Kranke 39 Prozent) und kontrollieren ihre Körperwerte (50 Prozent, Nicht-Chronisch-Kranke 17 Prozent). Darüber hinaus verzichten chronisch Kranke nicht nur überdurchschnittlich auf Alkohol (60 Prozent, Nicht-Chronisch-Kranke 45 Prozent) und Nikotin (76 Prozent, Nicht-Chronisch-Kranke 67 Prozent), sondern achten auch mehr auf ausreichenden Schlaf (69 Prozent, Nicht-Chronisch-Kranke 56 Prozent) Entspannung (49 Prozent, Nicht-Chronisch-Kranke 38 Prozent) und auf ihr Gewicht (66 Prozent, Nicht-Chronisch-Kranke 62 Prozent).
Nur zwei Maximen werden von ihnen weniger praktiziert als von nicht chronisch Kranken: Das sind vor allem regelmäßige sportliche Aktivitäten (33 Prozent, Nicht-Chronisch-Kranke 54 Prozent) und das Ziel, möglichst wenig Medikamente zu nehmen (51 Prozent, Nicht-Chronisch-Kranke 60 Prozent). Dies ist unter anderem dem Grad der Einschränkungen geschuldet, die Erkrankte durch ihre Krankheit erfahren. Je geringer die Einschränkungen chronisch Kranker sind, umso mehr ähnelt ihr Präventionsverhalten dem der nicht chronisch Kranken, je erheblicher die Einschränkungen, desto stärker weicht das Präventionsverhalten ab.
Schlussfolgerung der Stiftung Gesundheitswissen:
„Welche Verhaltensweisen die eigene Gesundheit beeinflussen, ist den meisten unserer Befragten bekannt“, so Ralf Suhr von der Stiftung Gesundheitswissen. „Dieses Wissen gilt es auszubauen und die Menschen zu unterstützen, ihre Kenntnisse auch anzuwenden. Ich glaube, das wird in den kommenden Jahren eine der zentralen Herausforderungen für den Gesundheitssektor werden. Hier sind alle Akteure unseres Gesundheitswesens stark gefordert.“
Menschen ohne eine chronische Erkrankung wie auch chronisch Kranke sind bei einigen chronischen Erkrankungen überzeugt, dass sich das Krankheitsrisiko durch ein gesundheitsorientiertes Verhalten und Vorsorge-Angeboten verringern lässt. Das gilt insbesondere für Bluthochdruck (59 Prozent), Diabetes (56 Prozent) und Rückenprobleme (52 Prozent), begrenzt auch für Burnout (43 Prozent), Schlaganfälle (35 Prozent), Depressionen (24 Prozent) und Arthrose (22 Prozent). Als kaum steuerbar gelten dagegen vor allem die Risiken, an Multipler Sklerose (weniger als 0,5 Prozent), Parkinson (1 Prozent) oder Epilepsie (1 Prozent) zu erkranken.
Das Zutrauen, Krankheitsrisiken vorbeugen zu können, sinkt jedoch, je stärker die Einschränkungen durch die eigene Erkrankung sind. Das gilt insbesondere für Bluthochdruck, Rückenschmerzen, Diabetes und Burnout. Von den befragten chronisch Kranken ohne Einschränkungen im Alltag sagen 69 Prozent, dass eine gute Lebensweise Bluthochdruck vorbeugen kann. Von denen, die mit erheblichen Einschränkungen leben, glauben das nur 54 Prozent. 63 Prozent der chronisch Kranken ohne nennenswerte Einschränkungen glauben an einen erheblichen Einfluss auf das Risiko, an Rückenproblemen zu erkranken, dagegen nur 44 Prozent der chronisch Kranken mit erheblichen Einschränkungen. Von chronisch Kranken, die bisher keine Einschränkungen ihres Alltags erleben, gehen 68 Prozent davon aus, dass sich Diabetes durch die entsprechende Lebensweise und Vorsorge gut vorbeugen lässt, von chronisch Kranken mit starken Einschränkungen dagegen nur 46 Prozent. Auch bei Burnout geht die Mehrheit (53 Prozent) der bisher im Alltag nicht beeinträchtigten chronisch Kranken von erheblichen Einflussmöglichkeiten aus, dagegen nur gut jeder Dritte mit erheblichen Einschränkungen.
Schlussfolgerung der Stiftung Gesundheitswissen:
„Dass die Befragten mit erheblichen Einschränkungen im Alltag so wenig Vertrauen in Präventionsmöglichkeiten haben und auch den Einfluss der eigenen Lebensweise als so gering erachten, ist nachvollziehbar. Immer wiederkehrende Schmerzen oder andere Belastungen machen es den Betroffenen schwer, optimistisch auf unterstützende Angebote zuzugehen“, sagt Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen. „Doch damit können wir uns nicht zufriedengeben. Gerade das Vertrauen in die eigenen Einflussmöglichkeiten ist eine wertvolle Ressource für die eigene Gesundheit und ein Schlüssel für Prävention. Die Verfügbarkeit von Informationen über das Leben mit einer Erkrankung ist daher elementar. Was bedeutet die Erkrankung für meinen Alltag? Wie kann ich mit der Erkrankung umgehen? Hier sind wir als Anbieter von Gesundheitsinformationen gefordert, spezifische Antworten zu geben und in die Lebenswelten der Menschen hineinzuwirken. Wir als Stiftung Gesundheitswissen sind bereit, uns dieser Herausforderung zu stellen.“
Text als PDF: Je stärker die Einschränkungen, desto geringer der Glauben an die Selbstwirksamkeit