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Selbstmanagement

Auf Augenhöhe mit dem Arzt

Wie beugen Sie einer Krankheit vor? Wie werden Sie wieder gesund? Und welche Vor- oder Nachteile hat eine bestimmte Therapie? Fragen wie diese besprechen Sie am besten offen mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt. Im Idealfall treffen Sie eine gemeinsame Entscheidung – denn sie ist ein wirksames Mittel. Shared Decision-Making wird das in Fachkreisen genannt.

Warum Sie von einer gemeinsamen Entscheidungsfindung profitieren

Es ist ein Erfolgsfaktor für den Erhalt der Gesundheit: ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis. Präventionsmöglichkeiten oder Behandlungswege offen zu besprechen und gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt zu entscheiden, ist ein wichtiger Schlüssel. Denn ein Dialog auf Augenhöhe schärft die Erwartungen und steigert die Bereitschaft der Betroffenen – auch, um beispielsweise die Unwägbarkeiten einer Behandlung anzunehmen. 

Eine Frau spricht mit einem Arzt.

Für einen gelungenen Arztbesuch wünschen wir uns vor allem eins: ein ausgewogenes Gespräch auf Augenhöhe. Immer nur allem zustimmen was der Arzt sagt, kann zu Frust führen und ist nicht immer förderlich für die Behandlung.

Andererseits kann der Arzt keine Gedanken lesen und nicht alle Bedürfnisse eines Patienten kennen. Ideal ist es deshalb, gemeinsam mit dem Arzt über eine Behandlung zu entscheiden. Arzt und Patient sind gleichberechtigt. Beide stellen Fragen und geben Antworten. So können Erwartungen besser erfüllt und Lösungen gefunden werden, die einem zusagen. Und: Entscheidet man sich gemeinsam für eine Behandlung, befolgt man sie besser.

Es geht hierbei nicht darum, so kompetent zu sein wie der Arzt. Dieser bleibt Experte für medizinische Belange und erklärt diese verständlich. Aber der Patient ist Experte für sich selbst. Nur er kennt seine Wünsche, Lebensumstände und Vorlieben, äußert sie offen und fragt bei Unklarheiten nach. So kann gemeinsam die beste Entscheidung getroffen werden.

Weitere Informationen zum Thema Arztbesuch finden Sie auf dem Gesundheitsportal der Stiftung Gesundheitswissen. Wissen ist gesund.

Gute Entscheidungen brauchen aktive Patienten

Shared Decision-Making sieht für den Einzelnen eine aktivere Rolle in Entscheidungsprozessen vor. Dabei geht es nicht darum, genauso kompetent zu sein wie die Ärztin oder der Arzt. Vielmehr geht es um eine inhaltliche Augenhöhe, das heißt: Der Patient kennt alle Informationen, die für seine persönliche Entscheidungsfindung wichtig sind – seine Werte, Lebensumstände und Wünsche. Der Arzt ist und bleibt Experte für alle medizinischen Belange. Wichtig dabei ist, dass die entscheidungsrelevanten Informationen auch wirklich ausgetauscht werden. Dazu braucht es noch mehr Patienten, die sich aktiv einbringen und ihre Gedanken, Sorgen, Fragen und Erwartungen offen mitteilen. Denn nur sie wissen, was ihnen wichtig ist.

Kurz erklärt: Shared Decision-Making

Shared Decision-Making (SDM) ist eine Form der Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Der Ansatz sieht vor, Informationen auszutauschen und eine Entscheidung gemeinsam und gleichberechtigt zu finden – etwa mit Blick auf eine Behandlung. Die Kommunikation in diesem Konzept erfolgt also zweiseitig. Sowohl der Arzt als auch der Patient stellen Fragen und beantworten Fragen. Hierfür bezieht der Arzt seinen Gesprächspartner in alle wichtigen Aspekte mit ein. Der Patient wiederum bespricht seine Anliegen offen und erklärt seine Präferenzen. Ziel ist es gemeinsam über eine angemessene medizinische Behandlung zu entscheiden und diese zu verantworten. Das kann auch die Erfolgschancen einer Behandlung erhöhen. 

Shared Decision-Making könnte somit der Schlüssel sein, für eine gute Gesundheitsversorgung, für eine Orientierung an den Bedürfnissen des Einzelnen und damit eine verbesserte Zufriedenheit oder ggf. sogar Lebensqualität (trotz Erkrankung). Im Deutschen wird für SDM auch der Ausdruck Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) verwendet.

Der Arzt ist verpflichtet, laienverständlich zu kommunizieren

Damit eine gemeinsame Entscheidungsfindung funktioniert, müssen sich Experte und Patient in den Dialog einbringen. Das bedeutet für den Arzt: Er erklärt Diagnosen und Krankheitsbilder verständlich und erläutert Vor- und Nachteile einer Untersuchung oder Behandlung. Das ist eine gesetzlich festgeschriebene Pflicht des Arztes, verankert im Patientenrechtegesetz im Bürgerlichen Gesetzbuch. 

Shared Decision-Making aus Arzt-Sicht

Prof. Dr. med. Martin Scherer erklärt in diesem Video, wie zeitgemäße Arzt-Patienten-Gespräche ablaufen.

Wissenschaftlich belegt: Gemeinsame Entscheidungen wirken

Dass Shared Decision-Making positive Effekte hat, ist nachgewiesen. Eine Auswertung von 105 Studien zeigte, dass der SDM-Ansatz sein Ziel erreicht. Demnach steigert Shared Decision-Making die Überzeugung der Patienten in ihre eigenen Entscheidungen. Außerdem führt es zu einem Wissensgewinn und zu mehr Teilhabe. Dass eine gute Kommunikation zwischen Patient und Arzt grundsätzlich förderlich ist, unterstreicht zudem eine Metaanalyse auf Basis von 106 Studien. Demnach halten sich Betroffene bei einer vertrauensvollen Kommunikation doppelt so häufig an die Empfehlungen ihres Arztes oder ihrer Ärztin und zeigen eine höhere Therapietreue. Auch treten seltener Komplikationen im Krankheitsverlauf auf, etwa bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus.

Eine Rolle. Vier Charaktere.

Jeder Mensch ist anders. Das hat auch Auswirkungen darauf, wie man seinem Arzt oder seiner Ärztin gegenüber auftritt. Die Boston Consulting Group hat im Mai 2001 in einer Untersuchung vier Patiententypen identifiziert. Die Rollen können dabei wechseln – je nach Lebenssituation und Schwere der Krankheit. Das hat auch Auswirkungen auf die gemeinsame Entscheidungsfindung.

Man ist von der Autorität der Ärztin oder des Arztes überzeugt und hat beinahe blindes Vertrauen in die Expertise: Diese Haltung trifft auf den akzeptierenden Patienten zu. Er überlässt Entscheidungen ausschließlich dem Arzt. Auch die Übermittlung von Informationen sowie die Dokumentation liegen bei den Medizinern.  

Der aufgeklärte Patient ist weniger abhängig von der Ärztin oder dem Arzt und ist bereit, seine Heilung aktiv zu befördern. Die Patientin oder der Patient ergreift eigenverantwortlich Therapiemaßnahmen – etwa der Diabetiker, der die permanenten Veränderungen seiner Blutzuckerwerte kennt und sich beispielsweise nach einer Schulung selbst Insulin injiziert. 

Er fordert den Arzt oder die Ärztin heraus und zeigt hohes Engagement: der involvierte Patient. Er tritt bewusst mit der Ärztin oder dem Arzt in Dialog und führt gerne Debatten. Auch interessiert er sich für Präventionsmaßnahmen, Gesundheitsleistungen und gesundheitsbewusstes Verhalten.

Steuernde Patientinnen oder Patienten treten selbstbewusst auf und überprüfen ärztliche Empfehlungen – beispielsweise im Internet. Sie neigen auch dazu, Zweitmeinungen einzuholen. Sie sind omnipräsent – um welche Gesundheitsfrage es auch geht – und nutzen analoge und digitale Medien zur Förderung ihrer Gesundheitskompetenz. 

Shared Decision Making aus Patientensicht

Welche Erwartungen haben Patientinnen und Patienten an gute Arzt-Gespräche?

Mehrheit zieht gemeinsame Entscheidungen vor

Wollen Patienten überhaupt gemeinsam mit Ihrem Arzt entscheiden? Studien deuten darauf hin. Die Bertelsmann Stiftung hat zwischen den Jahren 2001 und 2012 jährliche Befragungen durchgeführt. Im Durchschnitt aller Untersuchungen zeigt sich: Mehr als jeder Zweite (55 Prozent) wünscht sich eine gemeinsame Entscheidungsfindung. Lediglich 23 Prozent bevorzugen das paternalistische Modell, wonach der Arzt allein entscheidet. Lediglich jeder Fünfte (18 Prozent) favorisiert das autonome Konzept – und entscheidet lieber allein. 

Quellen und Hinweise

Unsere Gesundheitsinformationen können eine gesundheitsbezogene Entscheidung unterstützen. Sie ersetzen nicht das persönliche Gespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin und dienen nicht der Selbstdiagnostik oder Behandlung.

Charles C, Gafni A, Whelan T (1997). Shared decision-making in the medical encounter: what does it mean? (or it takes at least two to tango). Soc Sci Med 44(5):681-92.

Elwyn G, Frosch D, Thomson R, Joseph-Williams N, Llloyd A, Kinnersley P et al. Shared Decision Making: A Model for Clinical Practice. J Gen Intern Med. 2012;27(10):1361-7.

Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten. Vom 20. Februar 2013. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2013 Teil I Nr. 9, ausgegeben zu Bonn am 25. Februar 2013. Zugriff unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl113s0277.pdf

Groß D & Jacobs EM (Hrsg.). E-Health und technisierte Medizin. Neue Herausforderungen im Gesundheitswesen. Berlin: LIT Verlag; 2007. 

Boston Consulting Group. Vital Signs Update: The E-Health Patient Paradox, BCG Focus, 20.05.2001. Zugriff unter: https://www.bcg.com/documents/file13698.pdf 

Stacey D, Légaré F, Lewis K, Barry MJ, Bennett CL, Eden KB et al. Decision aids for people facing health treatment or screening decisions. Cochrane Database Syst Rev 2017;(4):CD001431.

Zolnierek KB, DiMatteo MR. Physician communication and patient adherence to treatment: a meta-analysis. Med Care. 2009;47(8): 826-34.

Spatz ES, Spertus JA. Shared decision making: a path toward improved patient-centered outcomes. Circ Cardiovasc Qual Outcomes. 2012 Nov;5(6):e75-7. 

Braun B & Marstedt G. Partizipative Entscheidungsfindung beim Arzt. Anspruch und Wirklichkeit. 2012. Zugriff unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/VV-PmW-PEF.pdf

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Erstellt vom Team Stiftung Gesundheitswissen.

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Erstellt am: 12.12.2020