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Patienteninformationen: „Viele Fragen sind noch nicht beforscht.”

Pressemitteilung 21.10.2016 - 00:16

Interview mit der Gesundheitsexpertin Prof. Dr. Anke Steckelberg

Am 20. Oktober 2016 ging die erste Leitlinie für evidenzbasierte Gesundheitsinformationen in die öffentliche Konsultation - und liegt seit Februar 2017 vor. Die federführende Wissenschaftlerin Prof. Dr. Anke Steckelberg erklärt, was gute Gesundheitsinformationen ausmacht und wie man sie erkennt.

Sie forschen seit vielen Jahren in den Bereichen Patienteninformation und informierte Entscheidungen. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse und wo liegen noch immer die Herausforderungen?

Einerseits haben wir schon Erkenntnisse, die wir in die Erstellung von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen einfließen lassen können und auch sollten. Andererseits sind viele Fragen noch nicht beforscht. Hier brauchen wir dringend Forschung. Hinzu kommt, dass die meisten Bereiche unseres Gesundheitssystems EbM frei sind. Das heißt, die Implementierung dieser neuen Art von Gesundheitsinformationen trifft auf eine Praxis in der auch den Professionellen oft die erforderliche Gesundheitskompetenz fehlt, um solche Informationen in die Gespräche mit Patientinnen und Patienten zu integrieren.

Sie haben federführend an der Erstellung der Leitlinie für evidenzbasierte Gesundheitsinformation gearbeitet, die jetzt in die öffentliche Konsultation geht. Worum geht es da genau und warum bedarf es solcher Leitlinien?

Unsere Leitlinie will die Qualität von Gesundheitsinformationen verbessern. Sie richtet sich an die Erstellerinnen und Ersteller von Gesundheitsinformationen. Die Leitlinie gilt für alle Versorgungsbereiche. Bisher vorliegende Gesundheitsinformationen erfüllen überwiegend nicht die Kriterien für evidenzbasierte Gesundheitsinformationen und sind häufig interessengeleitet und verzerrt. Damit sind sie nicht geeignet, die Teilhabe bei Entscheidungen von Bürgerinnen und Bürgern bzw. Patientinnen und Patienten über ihre Gesundheitsversorgung durch angemessene Information zu unterstützen.

Wie unterscheiden sich die Leitlinien von der „Guten Praxis Gesundheitsinformationen“ an denen Sie auch mitwirkten?

Der Unterschied ist vor allem das Verfahren der Erstellung. Unsere Leitlinie wurde mit der Methodik für evidenzbasierte Leitlinien systematisch entwickelt. Wir haben die Literatur aufbereitet und daraus Empfehlungen abgeleitet und begründet.

In den Leitlinien heißt es, dass Gesundheitsinformationen, die sich an Laien richten, patientenorientiert sein sollen. Nun gibt es ja nicht den einen Laien… Wie geht man am besten mit den vielen, unterschiedlichen Bedürfnissen um?

Zunächst einmal ist es wichtig, die Informationswünsche und Präferenzen der Zielgruppe zu explorieren. Dieses erfolgt anhand systematischer Literaturrecherchen und kann zusätzlich durch qualitative Studien ergänzt werden. Auch dieses methodische Vorgehen ist in der Leitlinie als zwingend erforderlich dargelegt. Nachdem die Gesundheitsinformation erstellt wurde, wird sie der Zielgruppe einer ersten Überprüfung unterzogen. Gleichzeitig gibt es eine Empfehlung in der Leitlinie, die Zielgruppe in den Erstellungsprozess einzubeziehen, um die Qualität der Gesundheitsinformation zu erhöhen. Das Medium Internet bietet viele Möglichkeiten, Informationen noch passgenauer anbieten zu können. So können die Informationen bei Bedarf weiter vertieft werden bis hin zur Nutzung von Schulungsmodulen.

Erfahrungsberichte von Patientinnen und Patienten sind im Journalismus weit verbreitet. In der Wissenschaft wird die Einbindung von Patientenerfahrungen zum Teil kontrovers diskutiert. Warum?

Erfahrungsberichte verfolgen sehr unterschiedliche Zwecke. Sie sollen z. B. Interesse an einem Thema wecken, die mit einer Erkrankung verbundenen Emotionen und Belastungen beschreiben oder aber auch Meinungen transportieren. Zurzeit können wir diese unterschiedlichen Erfahrungsberichte nicht kategorisieren und auch nicht ihre Wirkmechanismen beschreiben. Studien haben gezeigt, dass sich die untersuchten Narrative überredend auswirken. Das jedoch ist nicht vereinbar mit den Zielen evidenzbasierter Gesundheitsinformationen. Hier müssen zukünftige Forschungsarbeiten Klarheit schaffen und Methoden bereitstellen, um Narrative zu konzipieren, die eben nicht beeinflussend sondern illustrativ wirken.

Die Inhalte von Gesundheitsinformationen sind oft zu wissenschaftlich und damit schwer verständlich. Wie vermeidet man eine Überforderung der Leser, insbesondere von bildungsfernen Bevölkerungsgruppen?

Ein naheliegender erster Schritt wäre die Umsetzung der Erkenntnisse zur Kommunikation von Zahlen. So sollen die Ergebnisse aus Studien als absolute Risikoreduktionen und nicht als relative Risikoreduktionen angegeben werden. Unsere Leitlinie konnte zum Einsatz von Bildern und Zeichnungen keine Empfehlung abgeben, da noch keine ausreichende Evidenz vorliegt. Die Leitlinie ist auch eine methodische Hilfestellung. So empfiehlt sie, die avisierte Zielgruppe in die Erstellung von Gesundheitsinformationen unbedingt mit einzubeziehen. Ein solches Vorgehen schließt ein, dass die Informationen Vertreterinnen und Vertretern der Zielgruppe in einem strukturierten Verfahren vorgelegt werden und die Akzeptanz, Verständlichkeit und Vollständigkeit mit qualitativen Forschungsmethoden untersucht werden. Die Ergebnisse führen zur Weiterentwicklung der Information, um diese noch passgenauer und bedürfnisgerechter auf die Zielgruppe zuschneiden zu können.

Viele holen sich medizinische Tipps aus dem Internet. Was macht gute Gesundheitsinformationen im Netz aus? Was würden Sie den Menschen empfehlen: Worauf sollten Sie achten?

Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen – ob im Internet oder in gedruckter Form – stellen unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Beweislage relevante Informationen zu Gesundheitsentscheidungen umfassend, verständlich, transparent, unverzerrt und objektiv dar. Sie beinhalten Informationen zu Verlauf und Auswirkungen von Erkrankungen, Maßnahmen zur Gesunderhaltung, Früherkennung, Diagnostik, Behandlung, Palliation, Rehabilitation, Nachsorge, Pflege oder Krankheitsbewältigung. Der Nutzen und Schaden von Maßnahmen wird anhand patientenrelevanter Ergebnisparameter wie Mortalität, Morbidität und die gesundheitsbezogene Lebensqualität dargestellt. Grundlage der Erstellung ist ein transparentes methodisches Vorgehen.
Grundsätzlich kann überprüft werden, inwieweit die Empfehlungen der Leitlinie umgesetzt wurden. Zurzeit ist jedoch davon auszugehen, dass den Nutzerinnen und Nutzern das Problembewusstsein und das Handwerkzeug dafür fehlen. Hier bietet das Internet vielfältige Möglichkeiten wie z.B. Kompetenzen, Informationen auf ihre Güte und Zuverlässigkeit zu prüfen, könnten künftig auch in Onlinekursen erworben werden. Hier könnte die Stiftung Gesundheitswissen entscheidend dazu beitragen, das Angebot an evidenzbasierten, unabhängigen Gesundheitsinformationen und auch Trainingskursen zu erweitern.

Wenn Sie sich was wünschen könnten: Wie würde die Welt von morgen mit informierten, aktiven Bürgerinnen, Bürgern, Patientinnen und Patienten aussehen?

Die Welt von morgen: Schon Schülerinnen und Schüler erwerben in den Schulen die Gesundheitskompetenz, die sie befähigt evidenzbasierte Informationen für ihre Entscheidungsprozesse zu nutzen. Sie wissen um ihre Rechte als Patientinnen und Patienten und können diese auch einfordern.

Mehr zum Thema: www.leitlinie-gesundheitsinformation.de

Die Gesundheitsexpertin