Die Rolle von Patientinnen und Patienten verändert sich: Viele wollen ihre Behandlung aktiv mitgestalten und informieren sich selbst über Therapiemöglichkeiten.
Doch wie unterscheiden sie seriöse Gesundheitsinformationen von unseriösen – vor allem aus dem Netz? Wie treten sie ihrem Arzt gegenüber? Und wie reagieren Ärzte auf diese Entwicklung? Darüber haben Gesundheitsexperten in Berlin diskutiert – bei der ersten Sprechstunde der Stiftung Gesundheitswissen (SGW) in Kooperation mit ZEIT Doctor, der Gesundheitsbeilage der ZEIT. Zur ersten Veranstaltung der neuen Reihe, die den Titel „Der informierte Patient“ trug, kamen rund 150 Gäste. Sie verfolgten im Jüdischen Museum eine Debatte zwischen Vertreterinnen und Vertretern aus Gesundheitswesen und Politik.
Im Mittelpunkt der Diskussion standen Fragen wie: Warum ist es wichtig, sich als Patientin oder Patient selbst zu informieren und Entscheidungen gemeinsam mit dem Arzt zu treffen? Haben informierte Patienten bessere Heilungschancen? Wo und wie kann man sich informieren? Wie lernt man, vertrauenswürdige Quellen zu erkennen und Fakten richtig einzuordnen? Welche Fragen sollten Patientinnen und Patienten Ihrem Arzt stellen? Und was sollte der Arzt seinerseits bei der Kommunikation beachten?
Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung Gesundheitswissen, sagt: „Wenn der Patient weiß, warum eine Therapie wirkt, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass er die Therapie mitträgt und bspw. verordnete Medikamente auch nimmt.“ Es gebe Studien, die dies belegen. Informierte Patienten zeigten demnach eine größere Therapietreue und seien vom Gelingen der Behandlung überzeugter. Diese positive Grundeinstellung hätte auch positive Effekte auf den Körper. „Der Glaube versetzt Berge“, so Gerlach.
Karl-Josef Laumann, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium und Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten, sieht es ähnlich: „Es gibt Menschen, die haben eine hohe Gesundheitskompetenz.“ Sie hätten eine gute Einstellung, ein gutes Selbstbewusstein und würden begreifen, dass sie selbst diejenigen seien, die Verantwortung für ihren Körper hätten. Problematisch sei jedoch, so Laumann, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen nur wenig über gesundheitsrelevante Themen wüssten. Prof. Dr. Ina B. Kopp, Leiterin des Instituts für Medizinisches Wissensmanagement der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, ergänzt: „Manchmal sind es ganz einfache Fähigkeiten, die fehlen.“ Einige Menschen wüssten beispielsweise nicht, dass bei Fieber Wadenwickel helfen, so Kopp.
Dass die Gesundheitskompetenz der Deutschen verbesserungsfähig ist, bestätigen auch aktuelle Studien. So wies Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen, in seiner Eingangsrede auf eine Studie der Universität Bielefeld hin. „Mehr als jeder zweite Deutsche – 54,3 Prozent – verfügt über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz.“ Das bedeutet, so Suhr, dass mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung erhebliche Schwierigkeiten habe, mit gesundheitsrelevanten Informationen umzugehen und sich im Gesundheitssystem zu orientieren. „Viele wüssten nicht, an wen sie sich bei Gesundheitsproblemen wenden und wie sie mit Ärzten kommunizieren“, erklärt Suhr.
Es gebe Aufklärungsbedarf, unterstreicht auch Karl-Josef Laumann. Vor allem im Zuge der Digitalisierung gelangen immer mehr undurchschaubare und fragwürdige Gesundheitsinformationen an die Öffentlichkeit.
„Wildwuchs an Aufklärung“, nennt es Dr. Martin Danner. Der Bundesgeschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft SELBSTHILFE von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. sieht in der Bereitstellung seriöser Gesundheitsinformationen eine große Herausforderung. Problematisch ist vor allem: Suchmaschinen wie Google priorisieren die Ergebnisse einer Abfrage nicht unbedingt nach Qualität und Validität.
Wie unterscheiden Patientinnen und Patienten seriöse von unseriösen Gesundheitsinformationen im Netz? Ina Kopp rät, sich den Herausgeber genau anzuschauen. Auch die Methodik sei wichtig. Gibt es einen Hinweis auf der Website wie zum Beispiel: „Wir legen offen, nach welchen Prinzipien wir arbeiten“? Gerlach fügt hinzu, dass die Daten und Quellen unabhängig sein sollten und dem Zweck der Information und nicht der eigenen Bereicherung – etwa dem Verkauf von Medikamenten – dienen sollten.
Auch machen die Diskutanten deutlich, dass Patientinnen und Patienten dem Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt viel Bedeutung beimessen sollten. Ein gemeinsames Verständnis über Erwartungen, Heilungschancen und Behandlungsmöglichkeiten ist wesentlich für den Therapieerfolg. Hierfür bedarf es vor allem Zeit – die Ärztinnen und Ärzte nicht immer haben. Karl-Josef Laumann berichtet an dieser Stelle aus seinem persönlichen Umfeld: In seinem Geburtsort gebe es mittlerweile nur einen Arzt, der sich täglich um 170 bis 180 Patienten kümmere. Laumann sagt offen: „Da finden keine Arzt-Patientengespräche statt.“
In vielen Fällen kommt das Gespräch noch zu kurz. Das hat verschiedene Ursachen, waren sich die Podiumsteilnehmer einig. So wären auf gut informierte und engagierte Patientinnen und Patienten nicht alle Ärztinnen und Ärzte eingestellt – zumindest bislang. Es gäbe aber auch systemische Ursachen, wie Fehlanreize oder Defizite in der Ausbildung. Das soll sich ändern. „Wir müssen die sprechende Medizin stark machen“, fordert Gerlach in der Debatte. Die gute Nachricht sei, dass Studierende im Medizinstudium bereits auf eine anspruchsvollere Gestaltung des Arzt-Patientengesprächs vorbereitet werden. Vor allem am Beginn einer Behandlung sei ein intensiver und offener Dialog entscheidend. „Wenn man am Anfang Zeit investiert, spart man später Zeit“, so Gerlach. Dieselbe Einstellung hat auch Martin Danner. Er appelliert deshalb an die Ärzte: „Auch wenn das Wartezimmer voll ist, muss ich die Situation aushalten – bis der Patient alles verstanden hat.“