Bei der „ZEIT Doctor Sprechstunde“ am 21. November im Jüdischen Museum in Berlin stand die Frage im Mittelpunkt, wie sich Gesundheitswissen in der digitalen Zeit gestaltet und wie sich neue Techniken auf das Wissen der Bevölkerung und die Arzt-Patienten-Kommunikation auswirken. Es war die zweite Veranstaltung einer Reihe, in der sich die Stiftung Gesundheitswissen in Kooperation mit der Zeitung DIE ZEIT der Frage widmet, wie man Wissen über Gesundheit vermittelt.
Berlin, 23.11.2017 – Die zweite „Sprechstunde“ stand unter dem Motto „Gesundheitswissen in der digitalen Welt“. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion diskutierten Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Johannes Jacubeit, Arzt und Gründer der Firma Connected Health, Kai Helge Vogel, Leiter Team Gesundheit und Pflege beim Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. und Prof. Marie-Luise Dierks, Leiterin des Forschungsschwerpunktes „Patientenorientierung und Gesundheitsbildung“ an der Medizinischen Hochschule Hannover, mit Claudia Wüstenhagen, Redaktionsleiterin ZEIT DOCTOR.
Wie informiert man sich als Patient im digitalen Raum richtig? Macht Google uns klüger? Machen Smartphones und Apps uns eigenverantwortlicher? Und wie geht man mit der Vielfalt an digitalen Lösungen, die auf den Gesundheitsmarkt drängen, um? Eine Menge Diskussionsstoff für die teilnehmenden Diskutanten. Die waren sich einig: Die Patienten der Zukunft werden mehr Wissen über Krankheit und Gesundheit haben, weil sie sich proaktiv im Netz informieren können. Dadurch wird sich die Arzt-Patient-Kommunikation verändern, digitale Techniken werden diesen Trend beschleunigen und fördern. Umso wichtiger sind seriöse Quellen im World Wide Web. Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Informationsgehalt von Gesundheitsinformationen gewinnen an Relevanz. Noch besteht aber Unklarheit darüber, wie einheitliche Standards bspw. für Apps herbeigeführt werden können.
Montgomery plädierte für einen sachlichen Umgang mit neuen Techniken. Er sähe vor allem viele Chancen in den Entwicklungen, die sowohl dem Arzt als auch dem Patienten nützten. Es sollten aber auch die Grenzen anerkannt werden – digitale Errungenschaften brächten nicht zwingend mehr Gesundheit mit sich. Jacubeit prophezeite, dass in fünf bis zehn Jahren die Technik dafür sorgen würde, „dass wir uns spielerisch mehr bewegen würden“. Spracherkennungsprogramme wie Siri oder Alexa würden zudem immer mehr an Bedeutung gewinnen – auch als Problemlöser in Gesundheitsfragen.
Frau Dierks unterstrich, dass Patientinnen und Patienten mit der Vielfalt der momentan angebotenen Apps überfordert seien und auch was die Gesundheitsinformationen im Netz anbelange, herrschten Unklarheiten über die Qualität der Informationen vor: „Beim Suchbegriff ‚Darmkrebs‘ erhalte ich über einer Million Treffer bei Google!“ Die Diskutanten waren sich daher einig, dass beim Thema Gesundheitsinformationen größtmögliche Transparenz hergestellt werden müsse. So wies Dierks beispielsweise auf „subtile Marketingstrategien“ bei verschiedenen Medien im Gesundheitswesen hin, Montgomery kritisierte Gesundheitsplattformen, die von Pharmaunternehmen gesponsert seien, aber nach außen hin dies kaum kenntlich machen würden.
Dass es auch bei Gesundheits-Apps enorme Qualitätsunterschiede gibt, betonte der vzbv-Vertreter Vogel. Er plädierte für eine Zertifizierung, auch wenn das bei über 34.000 Gesundheits-Apps allein am deutschen Markt „schwierig“ werden wird. Gute Angebote könnten in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden: „Dann aber für alle und nicht als Marketinginstrument.“
Das Arzt-Patienten-Verhältnis wandelt sich
Der Unternehmer Jacubeit prognostizierte, dass die Technik immer selbstverständlicher und als ständiger Begleiter in den Hintergrund treten würde. Seine Vision: Die Beziehung zwischen Arzt und Patient würde perspektivisch durch einen souveränen Umgang mit Gesundheitsdaten und Gesundheitswissen seitens der Patienten gestärkt. Jacubeit mahnte allerdings: „Computer kann nicht Empathie.“
Auch Montgomery unterstrich: Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient wandelt sich, das Vertrauen aber bliebe. Er verwies darauf, dass 85 Prozent der Patienten laut einer Umfrage der KBV ihrem Arzt vertrauten. Der Wandel, dass sich Patientinnen und Patienten immer mehr für ihre eigene Gesundheit interessierten, sei also nicht als Misstrauensvotum zu sehen.
Unkritischer Umgang mit sensiblen Daten
Montgomery attestierte dem Zeitgeist, dass die Menschen eine „lachse Einstellung zu ihren persönlichen Daten“ pflegten. Dierks bestätigte: „Bei ‚Big Data‘ gibt es viele offene Fragen und vielleicht auch Gefahren.“ Jacubeit unterstrich, dass sich Nutzerinnen und Nutzer selbständig mit dem Thema „Was passiert mit meinen Daten?“ auseinandersetzen müssten.
Cyberchondrie durch digitale Anwendungen und Gesundheitsplattformen
Durch den Abend führte die Redaktionsleiterin von ZEIT Doctor, Claudia Wüstenhagen, die zum Abschluss der gut besuchten Veranstaltung das Publikum zu Wort kommen ließ. Ob nicht die ganzen Apps, Gesundheitsplattformen im Netz und digitalen Anwendungen dazu führten, dass sich das Individuum zu stark mit sich selbst auseinandersetzen würde und erst recht krank würde, fragte eine Besucherin. Dierks bestätigte, dass das Phänomen „Cyberchondrie“ sehr wohl ein Thema sei, valide Studien dazu aber noch nicht vorlägen. Was also tun: Das komplette Spektrum nutzen, oder kritisch hinterfragen? Montgomery schloss den Abend pragmatisch: „Auch wenn Sie alles tun, um gesund zu bleiben, kann ich Ihnen nicht versprechen, dass Sie länger leben, aber es wird Ihnen länger vorkommen!“