Studiencheck

Das Beckenbodentraining ist ein Verfahren zur Behandlung der Dranginkontinenz. Dabei wird die Beckenbodenmuskulatur durch Übungen wie dem schnellen und anhaltenden Zusammenziehen der Muskulatur trainiert. Angeleitet werden die Übungen von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Das Training umfasst in der Regel auch eine selbständige Wiederholung der erlernten Übungen zu Hause. Da die Beckenbodenmuskulatur daran beteiligt ist, den Urin zu halten, geht man davon aus, dass durch eine Kräftigung dieser Muskulatur einem ungewollten Verlust von Urin entgegengewirkt werden kann.

Im "Studiencheck Beckenbodentraining" wurde der Nutzen und Schaden von alleinigem Beckenbodentraining anhand der aktuellen Studienlage untersucht.

Die Ergebnisse auf einen Blick

Insgesamt scheint ein sechs- bis zwölfwöchiges alleiniges Beckenbodentraining im Vergleich zu keiner Behandlung nicht zu einer Verbesserung der Dranginkontinenz zu führen. Nebenwirkungen des Beckenbodentrainings zeigten sich nicht.

Einschränkung der Ergebnisse

In den Studien wurden nur Frauen untersucht. Die Zuverlässigkeit der Ergebnisse ist stark eingeschränkt, denn die Anzahl der in den Studien untersuchten Frauen mit Dranginkontinenz ist insgesamt sehr gering. Auch weisen die Studien methodische Mängel auf.

Die Harnblase - ein flexibles Organ

Kaum ein Organ ist so dehnbar und in seiner Größe so flexibel wie die Harnblase. 

Die Ergebnisse im Einzelnen

Nutzen von Beckenbodentraining im Vergleich zu keiner Behandlung

In drei randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) wurde untersucht, ob durch ein sechs- bis zwölfwöchiges alleiniges Beckenbodentraining die Anzahl der sogenannten Dranginkontinenzepisoden innerhalb von 24 Stunden zurückging. In zwei Studien konnte durch das Beckenbodentraining kein Rückgang erreicht werden. Die dritte, allerdings sehr kleine Studie zeigte eine Verbesserung auf. Dementsprechend scheint insgesamt das Beckenbodentraining keine Verringerung der Dranginkontinenzepisoden erzielen zu können. 

Ein ähnliches Bild zeigte sich mit Blick auf die Lebensqualität bei Inkontinenz. In zwei Studien wurde kein Unterschied zwischen der Gruppe mit alleinigem Beckenbodentraining und der Kontrollgruppe ohne Beckenbodentraining gefunden. Nur die dritte, wiederum sehr kleine Studie zeigte einen Unterschied in der Lebensqualität bei Inkontinenz zugunsten des Beckenbodentrainings im Vergleich zu keiner Behandlung. Daher scheint insgesamt das alleinige Beckenbodentraining bei erwachsenen Frauen mit Dranginkontinenz keinen Einfluss auf die Lebensqualität zu haben.  

Schaden von Beckenbodentraining

Ob durch Beckenbodentraining auch Nebenwirkungen auftreten können, wurde nur in einer der drei Studien untersucht. Hiernach hat das Beckenbodentraining keine Nebenwirkungen.

Warum sind die Ergebnisse der Studien nicht zuverlässig?

In allen drei randomisiert-kontrollierten Studien nahmen zusammengenommen nur 47 Frauen mit Dranginkontinenz und 46 Frauen mit überaktiver Blase teil, die das Beckenbodentraining oder keine Behandlung erhielten. Aus der Studie mit Frauen mit überaktiver Blase geht nicht eindeutig hervor, wie viele der 46 teilnehmenden Frauen von Dranginkontinenz betroffen waren. Auch weisen die Studien methodische Mängel auf.

Wer hat an den Studien teilgenommen?

In einer Studie war die Dranginkontinenz bei den untersuchten Frauen infolge eines Schlaganfalls aufgetreten. In der anderen Studie hatten die Teilnehmerinnen unterschiedliche Formen der Inkontinenz, wobei bei der Auswertung der Ergebnisse zwischen den Inkontinenzformen unterschieden wurde. Für die dritte Studie wurden Frauen mit überaktiver Blase mit und ohne Dranginkontinenz untersucht. 

Das mittlere Alter der Frauen unterschied sich zwischen den Studien und lag im Durchschnitt etwa zwischen 60 und 65 Jahren.

In Bezug auf die Dauer der Inkontinenz finden sich in zwei von drei Studien Angaben. Die meisten Teilnehmerinnen waren seit mindestens einem Jahr bis hin zu mehr als 5 Jahren inkontinent. Informationen über den Schweregrad der Inkontinenz gibt keine Studie.

In zwei Studien hatten die Teilnehmerinnen vor Studienbeginn keine Medikamente genommen und erhielten auch keine medikamentöse Begleittherapie während des Beckenbodentrainings. Die dritte Studie gibt zu diesen Punkten keine Auskünfte. 

Durchgeführt wurden die Studien in den USA, Dänemark beziehungsweise Litauen.

Sind die Ergebnisse übertragbar?

Inwieweit die Ergebnisse der Studien auf andere Personengruppen, wie z. B. jüngere Frauen mit Dranginkontinenz oder Männer, übertragbar sind, ist unklar. Aufgrund der unterschiedlichen Anatomie von Frauen und Männern im Bereich des Beckenbodens ist eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Männer allerdings fraglich

Was ergaben Studien zu anderen Beckenbodentrainings?

Zwei weitere randomisiert-kontrollierte Studien (Huang et al. 2019; Kim et al. 2011) untersuchten ein Beckenbodentraining, aber eingebettet in ein dreimonatiges Yoga- oder Fitnessprogramm. In einer der Studien wurden die Effekte dieses Trainings dabei im Vergleich zu einer Scheinbehandlung ohne Einfluss auf den Beckenboden und in der anderen Studie im Vergleich zu keiner Behandlung geprüft. Auch an diesen Studien nahmen nur Frauen teil. Es konnten ebenfalls keine Verbesserungen im Hinblick auf die Dranginkontinenzepisoden innerhalb von 24 Stunden nachgewiesen werden. Ob die Behandlungen Einfluss auf die Lebensqualität haben, wurde nicht untersucht. Die Studienautoren gehen davon aus, dass aufgetretene Nebenwirkungen nicht auf das Yoga-Programm zurückzuführen sind. Ob Beckenbodentraining im Rahmen eines Fitnessprogramms zu Nebenwirkungen führt, wurde nicht berichtet. Die methodische Qualität der Studien ist niedrig beziehungsweise moderat.

Die Informationen stellen keine endgültige Bewertung dar, sondern basieren auf den besten derzeit verfügbaren Erkenntnissen.

Quellen und Hinweise

Unsere Gesundheitsinformationen können eine gesundheitsbezogene Entscheidung unterstützen. Sie ersetzen nicht das persönliche Gespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin und dienen nicht der Selbstdiagnostik oder Behandlung

Bykoviene L, Kubilius R, Aniuliene R, Bartuseviciene E, Bartusevicius A. Pelvic Floor Muscle Training With Or Without Tibial Nerve Stimulation and Lifestyle Changes Have Comparable Effects on The Overactive Bladder. A Randomized Clinical Trial. Urol J 2018; 15(4):186–92. doi: 10.22037/uj.v0i0.4169.

Dumoulin C, Cacciari LP, Hay-Smith EJC. Pelvic floor muscle training versus no treatment, or inactive control treatments, for urinary incontinence in women. Cochrane Database Syst Rev 2018; 10:CD005654. doi: 10.1002/14651858.CD005654.pub4.

Firra JC. Effects of treatment of urinary incontinence in women: exercise or electrical stimulation or both [Dissertation]. Denton, Texas: Texas Woman's University; 2008.

Huang AJ, Chesney M, Lisha N, Vittinghoff E, Schembri M, Pawlowsky S et al. A group-based yoga program for urinary incontinence in ambulatory women: feasibility, tolerability, and change in incontinence frequency over 3 months in a single-center randomized trial. Am J Obstet Gynecol 2019; 220(1):87.e1-87.e13. doi: 10.1016/j.ajog.2018.10.031.

Kim H, Yoshida H, Suzuki T. Effects of exercise treatment with or without heat and steam generating sheet on urine loss in community-dwelling Japanese elderly women with urinary incontinence. Geriatr Gerontol Int 2011; 11(4):452–9. doi: 10.1111/j.1447-0594.2011.00705.x.

Tibaek S, Gard G, Jensen R. Is there a long-lasting effect of pelvic floor muscle training in women with urinary incontinence after ischemic stroke? A 6-month follow-up study. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2007; 18(3):281–7. doi: 10.1007/s00192-006-0137-3.

Tibaek S, Gard G, Jensen R. Pelvic floor muscle training is effective in women with urinary incontinence after stroke: a randomised, controlled and blinded study. Neurourol Urodyn 2005; 24(4):348–57. doi: 10.1002/nau.20134.

Tibaek S, Jensen R, Lindskov G, Jensen M. Can quality of life be improved by pelvic floor muscle training in women with urinary incontinence after ischemic stroke? A randomised, controlled and blinded study. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2004; 15(2):117-23; discussion 123. doi: 10.1007/s00192-004-1124-1.

Claudia Höppner
Claudia Höppner

Claudia Höppner

Referentin Evidenzbasierte Medizin
Claudia Höppner ist Gesundheitswissenschaftlerin (MPH) und Soziologin. Für die Stiftung erarbeitet sie Inhalte für multimediale Informationsangebote auf Basis der Methoden der evidenzbasierten Medizin und unterstützt bei wissenschaftlichen Projekten.
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Michael Mibs
Michael Mibs

Michael Mibs

Referent Evidenzbasierte Medizin
Michael Mibs ist studierter Gesundheitswissenschaftler und Soziologe. Für die Stiftung erarbeitet er Inhalte für multimediale Informationsangebote auf Basis der Methoden der evidenzbasierten Medizin und konzipiert Analysen mit Bezug zur klinischen Versorgung.
PD Dr. med. Karl Horvath
PD Dr. med. Karl Horvath

PD Dr. med. Karl Horvath

Priv.-Doz. Dr. Karl Horvath promovierte 1993 an der Karl-Franzens-Universität Graz. 1997 Erhalt des Diploms Arzt für Allgemeinmedizin, 2002 Erhalt des Facharztdiploms, Facharzt für Innere Medizin und 2013 des Additivfachs, Facharzt für Endokrinologie und Diabetologie. Im Jahr 2010 Habilitation im Fach Innere Medizin an der Medizinischen Universität Graz. Aktuell ist er als Facharzt für Innere Medizin an der Universitätsklinik für Innere Medizin, Universitätsklinikum Graz, Medizinische Universität Graz praktisch ärztlich tätig. Von 2005 bis 2014 hatte er die Co-Leitung des „EBM Review Center“ der Medizinischen Universität Graz inne. Seit 2015 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Instituts für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung der Medizinischen Universität Graz. Dort leitet er den Fachbereich Evidenzbasierte Medizin.
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Univ. Ass. Mag. rer. nat. Thomas Semlitsch
Portrait Univ.Ass. Mag.rer.nat. Thomas Semlitsch

Univ. Ass. Mag. rer. nat. Thomas Semlitsch

Mag. rer. nat. Thomas Semlitsch studierte Chemie mit dem Ausbildungsschwerpunkt Biochemie und Zellbiologie der Karl Franzens Universität Graz. Vor seiner Anstellung an der Medizinischen Universität Graz war er mehrere Jahre im Bereich Qualitätsmanagement und als Koordinator klinischer Studien an einer österreichischen Privatklinik tätig und absolvierte 2007 eine Post-Graduate Ausbildung zum Good Laboratory Practice (GLP) -Beauftragten für den Bereich analytisches Labor. Von 2008 bis 2014 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Research Unit „EBM Review Center“ der Medizinischen Universität Graz und von 2011 bis 2014 auch am Institut für Biomedizin und Gesundheitswissenschaften der Joanneum Research Forschungsgesellschaft tätig. Seit 2015 ist er als Univ. Assistent am Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung im Fachbereich Evidenzbasierte Medizin beschäftigt. Herr Semlitsch ist seit 2018 Fachbereichssprecher der Sektion Österreich und somit Mitglied des erweiternden Vorstands des Deutschen Netzwerks Evidenz basierte Medizin (DNEbM).

Dieser Text wurde ursprünglich am 25.06.2019 erstellt und wird regelmäßig überprüft. Die letzte Aktualisierung aufgrund neuer Erkenntnisse erfolgte am 28.05.2024. Nächste umfassende Überarbeitung: Mai 2029.

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