Bei Dranginkontinenz verspüren Betroffene immer wieder ganz plötzlich heftigen Harndrang und verlieren ungewollt Urin. Als Ursachen kommen zum Beispiel Erkrankungen der Harnblase in Betracht, oft lässt sich aber auch keine Ursache finden. Erfahren Sie hier mehr darüber, was Dranginkontinenz ist, wie häufig sie vorkommt und was sie begünstigen kann.
Dranginkontinenz ist eine Form der Harninkontinenz. Dabei verspüren Betroffene ganz plötzlich, ohne vorherige Anzeichen, das starke Bedürfnis, eine Toilette benutzen zu müssen. Sie verlieren häufig schon Urin, bevor sie die Toilette erreichen. Denn bei Dranginkontinenz kann die Blasenentleerung nur unzureichend hinausgezögert werden.
Zu dem plötzlichen Harndrang und den ungewollten Urinverlusten kann es in kurzen Zeitabständen immer wieder kommen, auch schon bei geringer Blasenfüllung. Dranginkontinenz kann auch nachts auftreten.
Wie Harninkontinenz generell, ist auch Dranginkontinenz bei Frauen häufiger als bei Männern. Sie nimmt mit dem Alter immer weiter zu. In einer Studie mit Frauen aus Norddeutschland hatten 6 von 100 Frauen im Alter von unter 40 Jahren Dranginkontinenz. Bei den 40- bis 49-Jährigen waren es neun von 100 Frauen und bei den ab 80-Jährigen 33 von 100 Frauen. Bei Frauen ab 50 Jahren ist Dranginkontinenz die am häufigsten vorkommende Form einer Inkontinenz. Jüngere Frauen haben dagegen häufiger Belastungsinkontinenz.
Trotzdem ist Dranginkontinenz auch bei Männern die häufigste Form von Inkontinenz, in jedem Lebensalter. Schätzungen zufolge haben in Deutschland über alle Altersstufen hinweg durchschnittlich etwa 4 bis 8 von 100 Männern Dranginkontinenz. Allerdings: Konkrete Studienergebnisse bei Männern zur Häufigkeit von Dranginkontinenz gibt es derzeit nicht. Daher wurden die Zahlen auf der Basis von verschiedenen älteren Studienergebnissen geschätzt. Man weiß jedoch, dass Dranginkontinenz bei Männern mit steigendem Alter zunimmt.
Übergeordnete Bereiche im Gehirn sorgen dafür, dass wir einen ungewollten Urinabgang bei Harndrang normalerweise noch eine Zeitlang verhindern können. Wie das genau funktioniert, erfahren Sie hier.
Normalerweise wird unsere Fähigkeit, die Blasenentleerung bewusst auszulösen oder zurückzuhalten, über unser zentrales Nervensystem im Gehirn und Rückenmark gesteuert. Dazu senden zuständige Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark je nach übermitteltem Füllstand der Harnblase bestimmte Impulse an die Blasenmuskulatur. Bei der Dranginkontinenz besteht ein Ungleichgewicht zwischen den hemmenden und stimulierenden Nervenimpulsen am Blasenmuskel.
Der Blasenmuskel, der für die Blasenentleerung zuständig ist, zieht sich dabei ohne unseren Willen (man sagt auch „unwillkürlich“) ganz plötzlich und sehr stark zusammen. Ursache dafür können zum Beispiel bestimmte Nervenerkrankungen wie Multiple Sklerose und Parkinson oder auch Rücken- und Rückenmarksverletzungen oder ein Schlaganfall sein. Auch bestimmte Erkrankungen der Harnblase, zum Beispiel Blasensteine oder Blasenentzündungen und selten auch Krebserkrankungen der Harnblase, können dazu führen, dass die Harnblase überempfindlich reagiert und sich plötzlich, ohne dass wir dies beeinflussen können, zusammenzieht und entleert. Dies geschieht auch, wenn die Blase noch gar nicht voll ist.
Hormonveränderungen können ebenfalls Dranginkontinenz auslösen, zum Beispiel ein Östrogenmangel bei Frauen in den Wechseljahren.
In den meisten Fällen lässt sich allerdings keine fassbare körperliche Ursache für Dranginkontinenz finden. Dranginkontinenz ohne erkennbare körperliche Ursache wird auch „nasse“ überaktive Blase („Overactive Bladder“) genannt.
Möglich ist auch, dass psychische Probleme wie Stress, Ärger oder Ängste an der Entstehung von Dranginkontinenz beteiligt sind.
Faktoren, die zwar nicht direkt die Ursache für ein Gesundheitsproblem sind, sein Entstehen aber begünstigen können, nennt man auch Risikofaktoren. Ob es Risikofaktoren gibt, die speziell das Entstehen von Dranginkontinenz fördern können, wurde bislang nicht untersucht. Es gibt jedoch Studien, die mögliche Risikofaktoren für das Entstehen von Harninkontinenz allgemein untersucht haben. Experten nehmen an, dass folgende Risikofaktoren möglicherweise auch Dranginkontinenz begünstigen:
Harninkontinenz wird durch ein höheres Alter und das Geschlecht begünstigt. Frauen sind häufiger von Harninkontinenz betroffen als Männer.
Die Neigung, Harninkontinenz zu bekommen, kann vererbt werden. Fälle von Harninkontinenz in der Familie erhöhen das Risiko, selbst Harninkontinenz zu bekommen.
Starkes Übergewicht (Adipositas) erhöht ebenfalls das Risiko, Harninkontinenz zu bekommen. Von Adipositas spricht man, wenn der Body-Mass-Index (BMI) mindestens 30 beträgt. Frauen mit höhergradiger Adipositas (BMI ab 35) sind Studienergebnissen zufolge am häufigsten von Harninkontinenz betroffen.
Neben Adipositas können auch andere Erkrankungen das Risiko für das Auftreten von Harninkontinenz erhöhen. Dazu gehören unter anderem Erkrankungen wie die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), Harnröhren- oder Harnblasenentzündungen, Infektionskrankheiten der Geschlechtsorgane, Nervenerkrankungen wie Multiple Sklerose und Parkinson oder auch ein Schlaganfall.
Auch der Lebensstil spielt im Zusammenhang mit Harninkontinenz eine Rolle. So haben zum Beispiel Raucher häufiger Harninkontinenz als Nichtraucher.
Daneben stehen bestimmte Medikamente im Verdacht, das Risiko für Harninkontinenz zu erhöhen. Dazu gehören harntreibende Mittel zur Behandlung von Bluthochdruck oder Herzmuskelschwäche (Herzinsuffizienz). Auch bestimmte bronchienerweiternde Medikamente, sogenannte Sympathomimetika, die bei Asthma oder der chronisch-obstruktiven Lungenkrankheit (COPD) verordnet werden, können Dranginkontinenz begünstigen.
Darüber, wie Dranginkontinenz verlaufen kann, wenn sie nicht behandelt wird, liegen bislang keine Ergebnisse aus Studien vor. Ob und in welchem Maße die Beschwerden zunehmen, hängt jedoch auch von der jeweiligen Ursache der Dranginkontinenz ab.
Dranginkontinenz kann Auswirkungen auf alle Lebensbereiche haben. Wie jede Form der Harninkontinenz kann Dranginkontinenz zu Hautentzündungen im Intimbereich führen. Sie kann aber auch soziale und psychische Folgen nach sich ziehen.
Dranginkontinenz beeinträchtigt die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wenn Betroffene aus Angst vor dem unkontrollierbaren Einnässen ihre sozialen Kontakte, körperlichen Aktivitäten und sonstigen Freizeitbeschäftigungen einschränken. Auch auf das Sexualleben kann sich eine Dranginkontinenz negativ auswirken. Ausgelöst oder begünstigt werden diese Probleme durch Vorurteile und Scham, die immer noch mit Harninkontinenz verbunden sind.
Aufgrund solcher Einschränkungen können auch psychische Probleme wie Depressionen entstehen und die Lebensqualität der Betroffenen weiter herabsetzen. Besonders bei älteren Menschen besteht die Gefahr, dass Dranginkontinenz zu sozialem Rückzug und Vereinsamung führt. Der körperliche und geistige Abbau kann dadurch beschleunigt werden. Als Folge von Dranginkontinenz nimmt besonders im Alter auch das Sturzrisiko zu. Denn: Der Drang, rasch eine Toilette aufzusuchen, ist mit erhöhter Stolpergefahr verbunden.
Im Moment gibt es keine Studienergebnisse zur Vorbeugung von Dranginkontinenz. Zwar lassen sich verschiedene Harninkontinenz begünstigende Faktoren, wie etwa starkes Übergewicht (Adipositas) oder Rauchen, positiv beeinflussen. Ob dies wirklich dazu beiträgt, Harninkontinenz vorzubeugen, ist wissenschaftlich noch nicht belegt.
Unsere Gesundheitsinformationen können eine gesundheitsbezogene Entscheidung unterstützen. Sie ersetzen nicht das persönliche Gespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin und dienen nicht der Selbstdiagnostik oder Behandlung.
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Erstellt am: 12.06.2024