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Adipositas

Was bringt Orlistat bei Adipositas?

Adipositas bedeutet starkes Übergewicht ab einem BMI von 30 kg/m². Dadurch steigt das Risiko vieler weiterer Erkrankungen, z. B. Diabetes Typ 2 und Herzerkrankungen.

Adipositas wird in erster Linie durch eine Änderung der Lebensgewohnheiten behandelt. Man nennt dies auch die Basistherapie. Dabei sollen die Betroffenen ihre Ernährung umstellen und für mehr Bewegung im Alltag sorgen. Beides soll dazu beitragen, das Übergewicht abzubauen. Eine Verhaltenstherapie kann diese Umstellung begleiten.

Reicht diese Behandlung nicht aus, kann in Absprache mit dem Arzt, der Ärztin zusätzlich ein Medikament eingesetzt werden. Eines dieser Medikamente heißt Orlistat. Es soll dafür sorgen, dass der Darm weniger Fett aufnimmt. Orlistat (120 mg) wird dreimal täglich als Tablette zu den Mahlzeiten eingenommen.

Was wurde untersucht?

In mehreren randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) wurde untersucht, ob Orlistat bei der Gewichtsabnahme hilft. Alle Menschen, die an den Studien teilnahmen, setzten eine Basistherapie um. Nach dem Zufallsprinzip wurden sie dann jeweils in zwei Gruppen eingeteilt:

Die Testgruppen nahmen täglich Orlistat zu den Mahlzeiten ein.

Die Kontrollgruppen erhielten eine Tablette ohne Wirkstoff (Placebo). In manchen Studien bekam die Kontrollgruppe auch gar kein Medikament verabreicht.

Die Ergebnisse auf einen Blick

Menschen, die Orlistat einnahmen, verloren mehr Gewicht als Menschen, die kein Orlistat einnahmen. Es traten Nebenwirkungen auf, die insbesondere den Magen-Darm-Trakt betrafen. Das Wohlbefinden verbesserte sich durch Orlistat nicht.

Einschränkung der Ergebnisse
Die längsten Studien mit Orlistat dauerten zwei Jahre. Es lässt sich nicht sagen, welchen Nutzen und welche Nebenwirkungen das Medikament über einen längeren Zeitraum hat und ob die Gewichtsabnahme dauerhaft ist. Die Ergebnisse lassen sich nicht auf Kinder, Jugendliche und ältere Menschen übertragen. An den Studien nahmen Personen mit und ohne Begleiterkrankungen teil. Die Basistherapien unterschieden sich in den Studien. In einigen Studien wurde der Kontrollgruppe ein Scheinmedikament verabreicht, in anderen Studien jedoch nicht. 
 

Wie viel sollten Betroffene abnehmen?

Ein Ziel ist laut ärztlicher Leitlinie ein Gewichtsverlust von fünf Prozent oder mehr bei Personen mit einem BMI von 25 bis 35 kg/m² bzw. ein Gewichtsverlust von zehn Prozent oder mehr bei einem BMI von über 35 kg/m² innerhalb von sechs bis zwölf Monaten.

Hilft Orlistat beim Abnehmen?

Ärztliche Leitlinien empfehlen, dass Menschen mit Übergewicht (BMI 25 bis 35) innerhalb von einem Jahr 5 Prozent ihres Gewichts abnehmen sollen. Bei einer Person, die z. B. 100 Kilogramm wiegt, wären das 5 Kilogramm. Menschen mit einem BMI von 35 oder höher sollten sogar 10 Prozent ihres Körpergewichts abnehmen. Bei einer Person, die 100 Kilogramm wiegt, wären das also 10 Kilogramm. 
50 von 100 Personen, die Orlistat einnahmen, verloren fünf Prozent oder mehr ihres Gewichts. In den Kontrollgruppen, die kein Orlistat bekamen, nahmen 27 von 100 Personen fünf Prozent oder mehr ihres Gewichts ab.

Wie viele Personen haben mit der Einnahme von Orlistat innerhalb eines Jahres zehn Prozent oder mehr ihres Gewichts verloren?

22 von 100 Personen, die Orlistat einnahmen, verloren zehn Prozent oder mehr ihres Gewichts. In den Kontrollgruppen nahmen 11 von 100 Personen 10 Prozent oder mehr ihres Gewichts ab.

Die dargestellten Informationen entstammen einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2022. Diese berücksichtigte die Daten aus 26 einzelnen Untersuchungen (RCTs) mit insgesamt 13.751 übergewichtigen oder adipösen Teilnehmenden (BMI ≥ 25kg/m2). Das Durchschnittsalter lag bei 41 bis 59 Jahren. 20 bis 100 Prozent der Teilnehmenden waren Frauen. Zu Beginn der Behandlung hatten sie einen BMI von 33 bis 37 kg/m2.

Die durchschnittliche Studiendauer in den einzelnen Studien betrug drei Monate bis zwei Jahre. Die Qualität der Evidenz ist insgesamt als moderat anzusehen.

Welchen Einfluss hat Orlistat auf das Wohlbefinden?

Die Einnahme von Orlistat hatte keinen spürbaren Einfluss auf das Wohlbefinden der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer.

Die Daten zum Wohlbefinden wurden in einer Untersuchung in Australien und Neuseeland erhoben, bei der die Teilnehmenden ein Jahr lang Orlistat erhielten. Daran nahmen 269 Personen mit einem durchschnittlichen BMI von 37,8 kg/m2 und einem Durchschnittsalter von 52,2 Jahren teil. Der Anteil an Frauen lag bei 57 Prozent. Die Lebensqualität wurde mit Hilfe eines Fragebogens (SF-36) erhoben.

Welche Nebenwirkungen können bei der Einnahme von Orlistat auftreten und wie häufig sind sie?

Die häufigsten Nebenwirkungen in den Untersuchungen betrafen den Magen-Darm-Trakt. 54 von 100 Personen, die Orlistat einnahmen, hatten Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall, Stuhlinkontinenz oder Blähungen. In den Kontrollgruppen war dies bei 27 von 100 Personen der Fall. Schwerwiegende Magen-Darm-Beschwerden traten jedoch in jeweils beiden Gruppen bei weniger als einer Person von 100 auf.

8 von 100 Personen, die Orlistat einnahmen, brachen die Studie aufgrund von Nebenwirkungen ab. In den Kontrollgruppen brachen 5 von 100 Personen die Studien wegen Nebenwirkungen ab.

Die Zahlen zu den Nebenwirkungen stammen aus einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2022, die Personen mit Übergewicht oder Adipositas (BMI ≥ 25 kg/m2) untersuchte. Die Daten für generelle Magen-Darm-Beschwerden stammen aus 39 einzelnen Untersuchungen (RCTs) mit insgesamt 14.232 Teilnehmenden, jene für die schwerwiegenden Magen-Darm-Beschwerden aus zehn RCTs mit insgesamt 4942 Teilnehmenden. Das Durchschnittsalter lag bei 31 bis 59 Jahren. 20 bis 100 Prozent waren Frauen. Zu Beginn der Behandlungen hatten die Teilnehmenden einen BMI von 33 bis 42 kg/m2.

Die Untersuchungen wurden in Europa, Nordamerika, Australien und Asien vorgenommen. Die durchschnittliche Behandlungsdauer in den einzelnen Studien betrug drei Monate bis maximal zwei Jahre. Die Qualität der Evidenz ist insgesamt als moderat anzusehen.

Die Basistherapie zur Lebensstiländerung war nicht in allen durchgeführten Untersuchungen völlig gleich. Es bleibt daher unklar, ob es eine besonders wirksame Kombination von Basistherapie und Orlistat gibt.

Es liegen zudem keine Langzeitergebnisse vor. Über den dauerhaften Erfolg der Gewichtsabnahme sowie gesundheitliche Verbesserungen und Nebenwirkungen, die sich erst langfristig entwickeln, lassen sich derzeit noch keine Aussagen treffen.

An den Studien nahmen Erwachsene mit und ohne Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen teil. Daher bleibt unklar, welche Patientengruppe eher von einer medikamentösen Behandlung profitiert als eine andere.

Sowohl in den Orlistat-Gruppen als auch in den Kontrollgruppen beendeten viele Teilnehmende die Studien. Die Gründe für den Abbruch sind aber nur zum Teil bekannt (wie z. B. Nebenwirkungen). Eine hohe Abbrecherquote schränkt das Vertrauen in die Studienergebnisse ein.

Es gibt noch weitere Medikamente, die bei Adipositas eingesetzt werden können.

Auch für sie haben wir uns die Studienlage angeschaut:

Zum Studiencheck Liraglutid
Zum Studiencheck Bupropion/Naltrexon
Zum Studiencheck Semaglutid

Was ist Adipositas?

Adipositas ‒ oder Fettleibigkeit ‒ nimmt immer weiter zu und ist mit zahlreichen Folgeerkrankungen verbunden. Welche das sind und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt:

Adipositas im Überblick

Quellen und Hinweise

Unsere Gesundheitsinformationen können eine gesundheitsbezogene Entscheidung unterstützen. Sie ersetzen nicht das persönliche Gespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin und dienen nicht der Selbstdiagnostik oder Behandlung.

Avenell A, Robertson C, Skea Z, Jacobsen E, Boyers D, Cooper D et al. Bariatric surgery, lifestyle interventions and orlistat for severe obesity: The REBALANCE mixed-methods systematic review and economic evaluation. Health Technol Assess 2018; 22(68):1–246. doi: 10.3310/hta22680.

Deutsche Adipositas-Gesellschaft. Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur „Prävention und Therapie der Adipositas“: Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG); 2014. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/050-001l_S3_Adipositas_Prävention_Therapie_2014-11-abgelaufen.pdf [12.05.2023].

European Medicines Agency. Assessment report Wegovy: International non-proprietary name: Semaglutide; procedure no. EMEA/H/C/005422/0000. Verfügbar unter: https://www.ema.europa.eu/en/documents/assessment-report/wegovy-epar-public-assessment-report_en.pdf [12.05.2023].

LeBlanc E, OʼConnor E, Whitlock EP, Patnode C, Kapka T. U. S. Preventive Services Task Force evidence syntheses, formerly systematic evidence reviews. In: Screening for and management of obesity and overweight in adults. Rockville (MD): Agency for Healthcare Research and Quality (US); 2011.

Shi Q, Wang Y, Hao Q, Vandvik PO, Guyatt G, Li J et al. Pharmacotherapy for adults with overweight and obesity: A systematic review and network meta-analysis of randomised controlled trials. 2021/12/14. Lancet; Jan 15 (Bd. 399). Verfügbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/34895470 [12.05.2023].

SRH Hochschule für Gesundheit, Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG). Patientenleitlinie zur Diagnose und Behandlung der Adipositas [Eine Leitlinie für Betroffene, Angehörige und nahestehende Personen, die sich auf eine ärztliche Leitlinie stützt: die „S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas“]; 2019. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/050-001p_S3_Adipositas_Prävention_Therapie_2019-01.pdf [12.05.2023].

Unsere Angebote werden regelmäßig geprüft und bei neuen Erkenntnissen angepasst. Eine umfassende Prüfung findet alle drei bis fünf Jahre statt. Wir folgen damit den einschlägigen Expertenempfehlungen, z.B. des Deutschen Netzwerks für Evidenzbasierte Medizin.

Informationen dazu, nach welchen Methoden die Stiftung Gesundheitswissen ihre Angebote erstellt, können Sie in unserem Methodenpapier nachlesen.

Autoren und Autorinnen:
Jochen Randig
Jochen Randig

Jochen Randig

Senior-Multimedia-Producer / Fachleitung multimediale Formate
Jochen Randig ist Kommunikationswissenschaftler mit Schwerpunkt Bewegtbild. Für die Stiftung konzipiert er multimediale Formate und ist für die Qualitätssicherung und Dienstleistersteuerung in diesem Bereich zuständig.
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Lisa-Marie Ströhlein
Lisa-Marie Ströhlein

Lisa-Marie Ströhlein

Medical Writerin
Lisa-Marie Ströhlein studierte Medizinische Biologie mit dem Schwerpunkt Wissenschaftskommunikation. Für die Stiftung bereitet sie komplexe medizinische Themen und Inhalte in laienverständlicher Sprache auf.
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Dr. Pia Gamradt
Dr. Pia Gamradt

Dr. Pia Gamradt

Referentin Evidenzbasierte Medizin
Dr. Pia Gamradt ist studierte Biologin mit Schwerpunkt immunologische Grundlagenforschung. Für die Stiftung erstellt sie wissenschaftliche Inhalte für multimediale Informationsangebote und unterstützt bei wissenschaftlichen Projekten.
Wissenschaftliche Beratung:
Prof. Dr. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch
Foto von Prof. Dr. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch

Prof. Dr. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch

Univ. Prof. Dr. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch promovierte 1993 an der Karl-Franzens-Universität Graz und ist seit 2000 Fachärztin für Innere Medizin. Die Habilitation im Fach der Inneren Medizin erfolgte 2004. Von 2005 bis 2014 hatte sie die Gesamtleitung und wissenschaftliche Leitung der Research Unit „EBM Review Center“ der Medizinischen Universität Graz inne. Seit 2009 ist sie Professorin für chronische Krankheit und Versorgungsforschung und stellvertretende Direktorin und Leiterin des Arbeitsbereichs Chronische Krankheit und Versorgungsforschung am Institut für Allgemeinmedizin, an der J.W. Goethe Universität in Frankfurt am Main. 2015 wurde Frau Siebenhofer-Kroitzsch zur Universitätsprofessorin für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung berufen und mit der Leitung des neu gegründeten Instituts für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung der Medizinischen Universität Graz betraut.
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Univ. Ass. Mag. rer. nat. Thomas Semlitsch
Portrait Univ.Ass. Mag.rer.nat. Thomas Semlitsch

Univ. Ass. Mag. rer. nat. Thomas Semlitsch

Mag. rer. nat. Thomas Semlitsch studierte Chemie mit dem Ausbildungsschwerpunkt Biochemie und Zellbiologie der Karl Franzens Universität Graz. Vor seiner Anstellung an der Medizinischen Universität Graz war er mehrere Jahre im Bereich Qualitätsmanagement und als Koordinator klinischer Studien an einer österreichischen Privatklinik tätig und absolvierte 2007 eine Post-Graduate Ausbildung zum Good Laboratory Practice (GLP) -Beauftragten für den Bereich analytisches Labor. Von 2008 bis 2014 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Research Unit „EBM Review Center“ der Medizinischen Universität Graz und von 2011 bis 2014 auch am Institut für Biomedizin und Gesundheitswissenschaften der Joanneum Research Forschungsgesellschaft tätig. Seit 2015 ist er als Univ. Assistent am Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung im Fachbereich Evidenzbasierte Medizin beschäftigt. Herr Semlitsch ist seit 2018 Fachbereichssprecher der Sektion Österreich und somit Mitglied des erweiternden Vorstands des Deutschen Netzwerks Evidenz basierte Medizin (DNEbM).

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Erstellt am: 04.08.2023