Adipositas bedeutet starkes Übergewicht ab einem BMI von 30 kg/m². Dadurch steigt das Risiko für viele weitere Erkrankungen, z. B. Diabetes Typ 2 und Herzerkrankungen.
Die Behandlung von Adipositas zielt in erster Linie auf eine Änderung der Lebensgewohnheiten ab. Man nennt dies auch die Basistherapie. Dabei sollen die Betroffenen ihre Ernährung umstellen und für mehr Bewegung im Alltag sorgen. Beides soll dazu beitragen, das Übergewicht abzubauen. Eine Verhaltenstherapie kann diese Umstellung begleiten.
Reicht diese Behandlung nicht aus, kann in Absprache mit dem Arzt, der Ärztin zusätzlich ein Medikament eingesetzt werden. Eines dieser Medikamente heißt Liraglutid.
Liraglutid wirkt im Gehirn. Es soll Hungergefühl verringern und dafür sorgen, dass man sich länger satt fühlt. Liraglutid (3,0 mg) wird einmal täglich unter die Haut (am Bauch, Oberschenkel oder Oberarm) gespritzt.
In mehreren randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) wurde untersucht, ob Liraglutid die Gewichtsabnahme bei Menschen mit Adipositas unterstützt. Alle Menschen, die an den Studien teilnahmen, erhielten eine Basistherapie.
Per Zufallsprinzip wurden die Teilnehmenden in zwei Gruppen eingeteilt:
Die Teilnehmenden der Testgruppen spritzten sich täglich das Medikament Liraglutid.
Die Teilnehmenden der Kontrollgruppen spritzten sich täglich ein Medikament ohne Wirkstoff (Placebo).
Menschen, die Liraglutid bekamen, verloren mehr Gewicht als Menschen, die ein Medikament ohne Wirkstoff nahmen. Es traten Nebenwirkungen auf, die insbesondere den Magen-Darm-Trakt und das zentrale Nervensystem betrafen. Das Wohlbefinden der Teilnehmenden besserte sich durch Liraglutid nicht.
Einschränkung der Ergebnisse
Die längste Studie dauerte zwölf Monate. Es lässt sich also nicht sagen, welche Wirkungen und Nebenwirkungen Liraglutid über einen längeren Zeitraum hat. Die Ergebnisse lassen sich nicht auf Kinder, Jugendliche und ältere Menschen übertragen. Die Studien zeigen nicht, ob die Gewichtsabnahme auch über einen längeren Zeitraum stabil bleibt. An den Studien nahmen Personen mit und ohne Begleiterkrankungen teil. Die Basistherapien unterschieden sich zwischen den Studien.
Ein Ziel ist laut ärztlicher Leitlinie ein Gewichtsverlust von fünf Prozent oder mehr bei Personen mit einem BMI von 25 bis 35 kg/m² bzw. ein Gewichtsverlust von zehn Prozent oder mehr bei einem BMI von über 35 kg/m² innerhalb von sechs bis zwölf Monaten.
Ärztliche Leitlinien empfehlen, dass Menschen mit Übergewicht (BMI 25 bis 35) innerhalb von einem Jahr 5 Prozent ihres Gewichts abnehmen sollen. Bei einer Person, die 100 Kilogramm wiegt, wären das z. B. 5 Kilogramm. Menschen mit einem BMI von 35 oder höher sollten sogar 10 Prozent ihres Körpergewichts abnehmen. Bei einer Person, die 100 Kilogramm wiegt, wären das also 10 Kilogramm.
58 von 100 Personen, die Liraglutid spritzten, verloren fünf Prozent oder mehr ihres Gewichts. In den Kontrollgruppen, die kein Liraglutid bekamen, nahmen im Gesamtschnitt 26 von 100 Personen fünf Prozent oder mehr ihres Gewichts ab.
Wie viele Personen haben mit Liraglutid innerhalb eines Jahres zehn Prozent oder mehr ihres Gewichts verloren?
31 von 100 Personen, die Liraglutid spritzten, verloren zehn Prozent oder mehr ihres Gewichts. In den Kontrollgruppen ohne Liraglutid nahmen 9 von 100 Personen zehn Prozent oder mehr ihres Gewichts ab.
Die hier dargestellten Informationen entstammen einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2022. Diese berücksichtigte insgesamt die Daten aus zehn bzw. neun einzelnen Untersuchungen (RCTs) mit insgesamt bis zu 6424 Menschen mit Adipositas oder Übergewicht (BMI ≥ 27kg/m2). Der durchschnittliche BMI der Teilnehmenden betrug 33 bis 40 kg/m2. Die Angabe zum BMI bezieht sich auf die Gesamtheit der 14 RCTs, die in die systematische Übersichtsarbeit einbezogen wurden. Angaben über das Durchschnittsalter und den Geschlechteranteil wurden nicht gemacht.
Die Studien dauerten zwischen drei und zwölf Monaten. Die Qualität der Evidenz ist insgesamt als moderat einzustufen.
Welchen Einfluss hat Liraglutid auf das Wohlbefinden?
Das Spritzen von Liraglutid hatte keinen spürbaren Einfluss auf das Wohlbefinden der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer.
Die Daten für die Lebensqualität stammen aus insgesamt vier randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs). Die Teilnehmenden waren durchschnittlich 48 bis 50 Jahre alt und wiesen einen durchschnittlichen BMI von 37 bis 39 kg/m2 auf. Der Frauenanteil lag zwischen 28 und 79 Prozent. Die Teilnehmenden hatten in drei der Studien unterschiedliche Begleiterkrankungen (Diabetes, Schlafapnoe). Die Studien dauerten zwischen 32 Wochen und drei Jahren. An einer Studie nahmen nur Personen ohne Begleiterkrankungen teil. Die Lebensqualität wurde mit den Fragebögen IWQoL, IWQoL-Lite und SF-36 erhoben. IWQoL bedeutet „Impact of Weight on Quality of Life“, übersetzt „Einfluss des Körpergewichts auf die Lebensqualität“. IWQoL und IWQoL-Lite messen also den Einfluss des Körpergewichts auf die Lebensqualität. Der SF-36-(Short-Form-36)-Fragebogen misst die generelle Lebensqualität unabhängig von einer bestimmten Erkrankung.
Die Qualität der Studien ist bei drei der Arbeiten als gut und bei einer als eher schlecht einzuschätzen.
Generelle Nebenwirkungen
Insgesamt traten bei Menschen, die Liraglutid einnahmen, etwas mehr Nebenwirkungen auf als in den Kontrollgruppen. 80 von 100 Personen mit Liraglutid berichteten von Nebenwirkungen. In den Gruppen ohne Liraglutid war dies bei 74 von 100 Personen der Fall.
Schwerwiegende Nebenwirkungen
Schwerwiegende Nebenwirkungen, die einen Arztbesuch notwendig machten, traten bei 6 von 100 Personen mit Liraglutid auf. In den Gruppen ohne Liraglutid kam es bei 5 von 100 Personen zu schwerwiegenden Nebenwirkungen.
Beschwerden des Magen-Darm-Traktes
Die häufigsten Nebenwirkungen bei Liraglutid waren Übelkeit, Durchfall und Erbrechen. So berichteten im Zeitraum von etwa einem Jahr 40 von 100 Personen mit Liraglutid-Therapie von Übelkeit und 20 von 100 Personen von Durchfall. Von den Teilnehmenden, die ein Medikament ohne Wirkstoff bekamen, berichteten 16 von 100 Personen von Übelkeit und 8 von 100 Personen von Durchfall. Verstopfungen kamen mit Liraglutid etwas häufiger vor als in den Kontrollgruppen, allerdings waren die Ergebnisse nicht eindeutig.
Beschwerden des zentralen Nervensystems (ZNS)
Das zentrale Nervensystem umfasst alle Nerven und Nervenbahnen von Gehirn und Rückenmark. Bei wenigen Menschen in den Studien traten unter Liraglutid Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit auf. Es ist aber unklar, ob diese durch Liraglutid verursacht wurden. Bei manchen Studien kamen diese Nebenwirkungen etwas häufiger vor als in der Kontrollgruppe, andere Studien wiederum zeigten hier keinen Unterschied.
Beschwerden der Psyche
Da Liraglutid im Gehirn wirkt, wurde ebenfalls geprüft, ob das Medikament psychische Beschwerden hervorrief. Bei Menschen, die Liraglutid spritzten, kam es nicht häufiger zu Angstzuständen, Depressionen oder ähnlichen Beschwerden als in den Kontrollgruppen.
Die Daten stammen aus einer systematischen Übersichtsarbeit, die die Daten aus insgesamt elf einzelnen Untersuchungen (RCTs) mit zusammen 6.546 Teilnehmenden ausgewertet hat. Die eingeschlossenen Studien dauerten im Mittel drei bis 13 Monate. Der mittlere BMI der Studienteilnehmer in den einzelnen Untersuchungen lag bei 33 bis 41 kg/m2. Die Angabe zum BMI bezieht sich auf alle 14 RCTs, die in die systematische Übersichtsarbeit einbezogen wurden. Angaben über das Durchschnittsalter und den Geschlechteranteil wurden nicht gemacht.
Zusätzlich wurden zwei aktuelle RCTs aus 2021 mit 195 bzw. 185 Personen berücksichtigt. Das Alter der Teilnehmenden war 43 bzw. 50 Jahre. 64 bzw. bis zu 92 Prozent waren Frauen. Zu Studienbeginn lag der mittlere BMI in einer Studie bei 33 kg/m2, in der anderen bei 37–38 kg/m2. Die Studien dauerten 52 bzw. 46 Wochen und wurden in Dänemark bzw. den USA durchgeführt.
Die Qualität der Evidenz ist insgesamt als moderat anzusehen.
Es liegen keine Langzeitergebnisse vor, die über den Beobachtungszeitraum der Studien hinaus gehen. Es lässt sich also nicht sagen, ob die Gewichtsabnahme dauerhaft bestehen bleibt und ob sie sich günstig auf die Gesundheit auswirkt. Auch zu Nebenwirkungen, die sich erst nach längerer Zeit entwickeln, lässt sich keine Aussage treffen.
An den Studien nahmen Erwachsene mit und ohne Begleiterkrankungen teil. Daher bleibt unklar, ob eine Gruppe eher von einer medikamentösen Behandlung profitiert als eine andere.
Sowohl in den Liraglutid-Gruppen als auch in den Kontrollgruppen brachen viele Teilnehmende die Studien ab. Die Gründe dafür sind aber nur zum Teil bekannt (wie z. B. Nebenwirkungen). Eine hohe Abbrecherquote schränkt das Vertrauen in die Studienergebnisse ein.
Es gibt noch weitere Medikamente, die bei Adipositas eingesetzt werden können.
Auch für diese haben wir uns die Studienlage angeschaut:
Zum Studiencheck Orlistat
Zum Studiencheck Bupropion/Naltrexon
Zum Studiencheck Semaglutid
Adipositas ‒ oder Fettleibigkeit ‒ nimmt immer weiter zu und ist mit zahlreichen Folgeerkrankungen verbunden. Welche das sind und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt:
Unsere Gesundheitsinformationen können eine gesundheitsbezogene Entscheidung unterstützen. Sie ersetzen nicht das persönliche Gespräch mit einem Arzt oder einer Ärztin und dienen nicht der Selbstdiagnostik oder Behandlung.
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Erstellt am: 04.08.2023